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Helmut Jacob hat mich gebeten, einen Weihnachtsgruß für die Volmarsteiner Gruppe der ehemaligen Heimkinder zu schreiben, wie ich es ja auch im vergangenen
Jahr getan habe. Doch ich weiß gar nicht so recht, wie ich anfangen soll. Schließlich hat Weihnachten etwas mit dem Heil dieser Welt zu tun und mit Hoffnung. Aber damit sieht es eher düster aus. Zwar hat der Runde
Tisch seinen Abschlußbericht noch nicht vorgelegt, er hält sich ja ohnehin nicht für die Volmarsteiner zuständig, könnte aber vielleicht doch richtungweisend sein. Doch ich kenne niemanden, der sich davon noch etwas
Positives erhofft – mich eingeschlossen. Die x-mal formulierten Vorwürfe, die vielen guten Vorschläge – ich mag sie hier nicht wiederholen.
In dieser wenig Mut machenden Lage fiel mirLa Pastorale des Santons de Provence ein, Bethlehem, Provence,das Weihnachtsoratorium aus
Südfrankreich. Meine Familie ist mit diesem Stück sehr verbunden, doch das ist nicht der Grund, warum ich jetzt davon erzählen will.
Diese Weihnachtsgeschichte hat ihre Besonderheiten. Sie ist sozusagen gebrochen. Mit Distanz und auch einem Schuß Ironie erzählt sie von einer Utopie, nämlich
wie die Menschen in Bethlehem durch die Wirkung der Heiligen Nacht zu guten Menschen werden. Doch das kann ja nicht von Dauer sein. Darum geht es mir, um das Changieren von Wunsch und Hoffnung und der Realität, die
ernüchternd ist und die man gern, wenigstens für die Dauer der Geschichte vergessen möchte, wohl wissend, daß sie uns doch wieder einholt.
Wie „geht“ die Geschichte?
Zunächst einmal liegt Bethlehem in der Provence, und Jesus ist in Südfrankreich geboren. Schließlich haben die Menschen immer wieder die Geschichten der Bibel
nicht nur in ihre Sprache übersetzt, nein, auch in ihre Landschaft, in ihren Kulturraum, in ihre Zeit herübergeholt, so auch die Provençalen. Sie wollten damit deutlich machen: Das Reich Gottes ist mitten unter uns
in unserer Zeit.
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So entstand die provençalische Weihnachtsgeschichte mit den Santons, den heiligen Herr und Frau Jedermann; das sind kleine Krippenfiguren
aus bemaltem Ton. Diese Krippenfiguren sind aus dem Leben der Provence gegriffen und kommen in der ursprünglichen Weihnachtsgeschichte nicht vor, einmal abgesehen von Jesus, Maria, Joseph und den drei
Königen.
Da ist der Müller, ein Faulpelz und Hahnrei zugleich.
Dann der Zigeuner, er wird, dem Verband der Sinti und Roma sei's geklagt, als Hühnerdieb dargestellt, - und sein Widersacher, der Polizist, der
ihn endlich stellen kann.
Dann das komische Paar Honorine und Pistachié: Er, der Tolpatsch, der bei der Jagd immer daneben schießt und sie, die den Leuten nicht mehr ganz
frische Fische andreht und ein Mundwerk hat, von dem Heine gesagt hätte, es sei eine Guillotine für jeden anständigen Namen.
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Da ist Felix, bei dem man nicht so recht weiß, ob man in ihm mehr den Dorftrottel sehen oder ihn um sein glückliches Naturell beneiden soll. Er erklärt dem
Blinden, was in der Welt geschieht: wie die drei Könige aufziehen, ihr Aussehen und ihre Geschenke: An einem Tag wie heute sollst du auch glücklich sein! Komm mit mir, ich beschreibe dir alles. Und hab Vertrauen
zu mir. Ich habe Phantasie. So wie ich es dir erzähle, ist es noch schöner als in Wirklichkeit.
Schließlich das Liebespaar Vincent und Mireille mit ihrem habgierigen, hartherzigen Vater, dem Bürgermeister von Bethlehem. Sie sind dem Vers-Epos von
Frédéric Mistral entsprungen, mitten hinein in die Erzählungen des Volkes. Sie alle und noch weitere landschaftstypische Personen aus der vorindustriellen Welt, die dennoch nicht als Idylle verstanden werden will,
werden durch die Geburt Jesu in der heiligen Nacht verwandelt. Sie werden im Rahmen ihrer Möglichkeiten gut und freundlich, sie werden den anderen Menschen ein Mensch.
Damit das anhält, erfolgt die zweite Verwandlung auf dem Fuß: Sie erstarren in ihrer liebenswürdigen, geläuterten Art zu den kleinen Heiligen, den Santons,
und werden so in ihrer Reinheit bewahrt für die Ewigkeit. Und selbst der bis zum Schluß widerspenstige Roustido, der Vater Mireilles, willigt schließlich in die Eheschließung ein, nachdem nicht er den Hausstand der
Brautleute zahlen muß, sondern dafür die Schatulle der Heiligen drei Könige in Anspruch genommen werden kann. So geht auch er in würdiger Pose in die Krippengesellschaft Jesu ein: Er legt die Hand seiner Tochter in
die des armen, aber schmucken und ehrlichen Vincent, Stierhüter und Tanzmusiker in der Camargue.
Diese Gradwanderung zwischen Kunst und Kitsch wird ermöglicht durch die immer wieder durchscheinende Distanz schmunzelnden Wohlwollens für menschliche und
auch göttliche Unzulänglichkeiten. Oder sollten wir lieber von allzumenschlichen Schwächen sprechen, von denen auch der stolze, frisch gebackene Gott-Vater nicht verschont bleibt?
Eine Geschichte, so ganz anders erzählt als die ehrwürdig-erhabene Weihnachtsgeschichte wie wir sie kennen – und in ihrer feinen Ironie dichter an der
irdischen Wirklichkeit. Sie präsentiert eine Utopie, zwar nicht real, aber doch zu Herzen gehend und Mut machend – und mehr ist vielleicht gar nicht möglich.
Ich wünsche Ihnen allen ein in diesem Sinne gesegnetes Weihnachtsfest und für das neue Jahr Kraft und Stehvermögen für die neuen Herausforderungen.
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Liebe ehemalige Mitschülerinnen, liebe ehemalige Mitschüler!
Liebe Leser dieser Homepage!
Es ist schon etwas zur Tradition geworden, dass pünktlich zum ersten Advent ein Weihnachtsgruß an alle Ehemaligen und an Interessenten unserer Arbeit ins
Internet gestellt wird.
Von den aufregenden Ereignissen, mit denen wir uns in diesem Jahr beschäftigt haben, erwähne ich besonders die Vorstellung des Buches
„Gewalt in der Körperbehindertenhilfe ...“ durch die Historiker Dr. Ulrike Winkler und Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl (Verfasser) und durch die Evangelische Stiftung Volmarstein. Jeder, der die Beiträge zu dieser Buchvorstellung auf unserer Homepage unter dem Link
http://gewalt-im-jhh.de/Gewalt_in_der_Korperbehinderte/gewalt_in_der_korperbehinderte.html
verfolgt hat, weiß, dass ein ausführliches Vorwort von uns in diesem Buch steht. Schon daran ist erkennbar, dass die Evangelische Stiftung Volmarstein keine
Worthülsen formuliert, die den Opfern nicht helfen. Unsere Vergangenheit, unser Schicksal vor 45 bis 65 Jahren wird anerkannt. Die ESV versucht immer wieder, dies auch öffentlich zu tun; zuletzt auch im Rahmen ihrer
Veranstaltung „ichbinwiedu“ zum Thema „Behindertenrechtskonventionen der Vereinten Nationen“ einen Tag nach der Buchpräsentation. Dort hatte die ESV einen Büchertisch eingerichtet, dieses Buch verkauft und den
Ehemaligen Freiexemplare gegeben.
Am 15. April haben etwa 300 Opfer der Heimerziehung vor dem Brandenburger Tor gegen die Arbeit des Runden Tisches Heimerziehung und gegen das Verhalten von Kirchen und Staat in Sachen Aufarbeitung und Wiedergutmachung demonstriert. Unsere Arbeitsgruppe war mit 2 Gruppenmitgliedern und einem Ehepaar aus Herdecke dabei. 50 Plakate haben wir hier erstellt und mit nach Berlin genommen. Das mediale Echo war trotz geringer Demonstrantenzahl gewaltig. Alle Fernsehsender, viele Rundfunksender, alle großen Tageszeitungen berichteten. Klaus hielt eine Rede für die Arbeitsgruppe.
Am 1. Adventssonntag, 28. November, um ca. 12.30 Uhr findet der Spatenstich zum „Marianne-Behrs-Haus“
statt. Näheres zu diesem Haus ist auf unserer Seite
http://gewalt-im-jhh.de/hp2/Aktion_KK_-_kuscheliges_Kinder/aktion_kk_-_kuscheliges_kinder.html
zu finden. Es lohnt sich, die Bauzeichnungen zu vergrößern und zu studieren. Vorausgesetzt, sie werden umgesetzt, wird der ESV der große Wurf und damit das
schönste Haus in der gesamten Einrichtung gelingen. Bereits die Zeichnungen besagen: Hier ist viel Licht! Hier ist viel Platz! Hier werden viele pädagogische Konzepte umgesetzt. Hier haben Menschen an den Entwürfen
gearbeitet, die mehrmals nachgedacht haben. Wir werden die Bauarbeiten vom Spatenstich über die Grundsteinlegung bis zur Fertigstellung und dem Einzug der Kinder beobachten und dokumentieren. Wir haben ein gutes
Gefühl und die Namensgeberin dieses Hauses ebenso.
Klaus Dickneite, unser Pressesprecher, ist in unserer Sache in diesem Jahr viel unterwegs. Anders als beim Runden Tisch Heimerziehung finden wir beim Runden Tisch sexueller Missbrauch Gehör.
So hatte Klaus Gespräche im Bundesfamilienministerium und im Bundesjustizministerium. Er sprach mit der Missbrauchsbeauftragten und Tischvorsitzenden Christine Bergmann und wurde im privaten Fernsehsender „Top-TV“
interviewt. Derzeit vereinbart er mit Frau Bergmann einen Besuchstermin in Wengern, damit die Arbeitsgruppe sie noch umfangreicher über den Missbrauch behinderter Heimkinder unterrichten kann. Klaus wird demnächst
auf unserer Homepage über seine Arbeit berichten.
Dieser Weihnachtsgruß ist unvollständig. Es kann noch nichts zum Abschlussbericht des Runden Tisches Heimerziehung (RTH) formuliert werden, weil dieser Bericht erst am 17. Dezember im Haus der Bundespressekonferenz vorgestellt wird. Die Stimmung unter den Opfern ist eher pessimistisch. Dieser Pessimismus speist sich aus den bisherigen Verlautbarungen der Tischvorsitzenden Antje Vollmer und der Rechtsnachfolger der damals verantwortlichen kirchlichen und staatlichen Stellen. Inzwischen haben die Heimopfer zu einer einheitlichen Forderung gefunden: Entweder wenigstens 300 Euro Opferrente bis zum Lebensende ohne Anrechnung auf andere soziale Leistungen oder eine einmalige Opferentschädigung in Höhe von etwa 55.000 Euro. Zum Abschluss von 2 Jahren Aufarbeitung kann sich der RTH bis heute nicht auf eine Empfehlung zum Thema Wiedergutmachung/Entschädigung/Schmerzensgeld verständigen. Die sonst wortgewaltigen Vertreter der Kirchen, aber auch der staatlichen Behörden, halten sich merkwürdig bedeckt. Niemand will der erste sein, der seinen Kopf - möglicherweise zum Verdruss höchster Stellen - zu weit nach vorn streckt. Andererseits schielen alle höchsten Instanzen der Kirchen und der staatlichen Stellen - vereint mit den Heimleitern und Entscheidungsträgern an der Quelle der Verbrechen und Gewalt - auf den RTH. Wenn es nach der Tischvorsitzenden Vollmer geht, wird es eine einmalige Entschädigung von etwa 2.500 Euro geben, um die Zwangsarbeiter der NS-Zeit, die einen ähnlichen Betrag erhalten haben sollen – was allerdings nicht stimmt - , nicht zu düpieren.
Dierk Schäfer in: Matthäus 25, ab Vers 31 angepaßt an HEUTE - Originaltext: Mt. 25, 31 “Ich bin ein hilfloses Kind gewesen, und ihr habt mir Gewalt angetan. Ihr habt mir mein Leben zerstört, und als ich
im Alter mein Recht bekommen wollte, habt ihr Zerknirschung geheuchelt und auf einen Runden Tisch verwiesen anstatt mir wenigstens jetzt zu helfen." http://dierkschaefer.wordpress.com/2010/11/26/was-ihr-getan-habt/
In diesen Weihnachtsgruß gehört ein besonderer Dank an die Unterstützer der behinderten Heimopfer insgesamt und damit auch unserer Ehemaligen.
Peter Henselder
vom Privatsender Top-TV in Berlin hat inzwischen in mehreren Beiträgen auf Verbrechen auch an behinderten Kindern und Jugendlichen aufmerksam gemacht. So wurden Klaus Dickneite und Dr. Ulrike Winkler in verschiedenen Sendungen befragt. Henselnder zeichnete auch die Demonstration am 15. April auf und die Rede, die Klaus für unsere Arbeitsgruppe hielt und die große Beachtung unter den Demonstranten fand. Außerdem stellte Henselder das Buch der Historiker vor.
Erika Tkocz, eine Psychologin und Krankenschwester aus Darmstadt, unterstützt ideell und finanziell unsere Arbeit. In ihrem Forum berichtet sie über uns, in Gesprächen mit heute Verantwortlichen -
beispielsweise mit dem Ratsvorsitzenden der EKD Nikolaus Schneider - erinnert sie daran, was nicht nur in der Erziehungshilfe, sondern auch in der Behindertenhilfe geschah. Pfarrer Dirk Schäfer
ist uns nun schon seit mehreren Jahren verbunden. In seinem Blog greift er immer wieder unsere Themen auf. Prof. Dr. Manfred Kappeler weist in seinen Analysen zu Ergebnissen des Runden Tisches Heimerziehung
immer wieder darauf hin, dass komplette Opfergruppen fehlen. Die örtliche Presse mit Klaus Görzel
behandelt ebenso unser Thema. Sie alle tragen dazu bei, dass dem Runden Tisch unter Vorsitz von Dr. Antje Vollmer immer wieder der große Skandal in Erinnerung gebracht wird: Die Missachtung der behinderten Heimopfer. Dafür allen an dieser Stelle herzlichen Dank! Hier muss allerdings auch mit Dank die
Evangelische Stiftung Volmarstein erwähnt werden. Sie hat manche Fahrtkosten unseres Pressesprechers, Unterkunftskosten für Gruppenmitglieder und individuelle Hilfen für einzelne Ehemalige übernommen.
Dr. Carlo Burschel und Erika Tkocz haben zwei weitere Opfergruppen ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Burschel die Säuglinge dieser schwarzen Zeit, Tkocz
die misshandelten Psychiatrie-Patienten. Wie der Entzug von Zuwendung an Säuglingen ihr späteres Leben beeinflusst, zeigt Burschel in seinem erschütternden Blog auf:
http://www.saeuglingsheim-archiv.de/
Liebe Schulkameraden, liebe Freunde, liebe Sympathisanten, liebe Kritiker unserer Arbeit, wir wünschen Ihnen eine besinnliche Adventszeit, schöne und
erholsame Weihnachtstage, einen fröhlichen Jahreswechsel und Kraft für das neue Jahr!
Uns sind Menschen bekannt, die krank sind, verzweifelt und erschüttert über besondere Schicksalsschläge. Ihnen stehen wir in diesen Wochen in Gedanken zur
Seite.
Herzliche Grüße
FAG JHH 2006
Helmut Jacob
(Sprecher)
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