Auszug aus einem Brief an Bundestagspräsident Norbert Lammert vom 28. 04. 2009
"Zu den einzelnen Misshandlungen und Straftaten z. B.: - Hiebe mit dem Krückstock auf den Kopf, gegen den Rücken, in die Kniekehle
- Schläge mit den Fäusten auf den Kopf, ins Gesicht, auf die Ohren - kindlichen Körper gegen Heizungsrohre schleudern - Aufschlagen des Kopfes auf die Pultplatte bzw. Einquetschen zwischen
die Flügel der klappbaren Schultafel - Traktieren der "Eckensteher" mit dem Stock - wenn sie gefallen sind - solange, bis sie wieder aufstanden - Zwangsfütterung (selbst des Erbrochenen)
Weitere Gewalttätigkeiten bestanden in der Ausübung psychischer Gewalt z. B.: - Kleinkinder mit dem "Bullemann" oder der Leichenhalle drohen - Kleinkinder und andere Kinder in
permanente Angstzustände versetzen durch Drohungen, unangekündigte Schläge, Schlafentzug, unkontrollierte Gefühlsausbrüche - Isolationsfolter, stundenlanges, tagelanges, wochenlanges Einsperren in
Badezimmer, dunklem Abstellraum oder Wäschekammer - oder im Urlaub in einem leeren Zimmer - Aufforderung an einzelne Kinder, andere Kinder zu schlagen.
Sexueller Missbrauch z. B.:
- Zur-Schau-Stellung der sekundären Geschlechtsmerkmale - Stimulierung und Erregung von Jugendlichen unter Einsatz des Waschlappens und Seife, wobei die direkte Berührung mit den Händen nicht
ausgenommen war - Fortführung dieser Stimulierungen bis zum Erguß - Aufforderung an junge Diakonische Helferinnen, die Erregung bei Jungen zu beobachteten
- Anschließende Bestrafung dieser Jungen, weil sie angeblich "Schweine" seien. - Untersuchung der Brüste und des Intimbereiches auf Weiterentwicklung, wobei vordergründig Büstenhalter
angepasst werden sollten“
Liebe ehemalige Mitschüler, liebe ehemalige Mitschülerinnen!
Liebe Besucher/innen dieser Homepage!
Darf man Mißhandlungen so deutlich beschreiben, wie wir es in unserem Brief an den Bundestagspräsidenten getan haben? Vor vier Jahren - es ging um unsere
Stellungnahmen zur „Volmarsteiner Erklärung“ der ESV - standen wir vor einem ähnlichen Problem. Anhand von Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch machten wir viele Gewalttaten als „Verbrechen“ fest. „Darf
man das als ‘Verbrechen’ ausdrücken?“, wurde ich gefragt.
Ja, man muß es. Denn es geht um die Taten
und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Opfer. Es geht um die zerstörten oder manipulierten Biographien; darum, daß das Leben einiger Klein- und Schulkinder heute sicher anders verlaufen wäre, wenn sie diese „Hölle von Volmarstein“ nicht durchlitten hätten. Sie wären nicht auf medizinische Hilfe, auf psychologische Hilfe und auf finanzielle Hilfe der Solidargemeinschaft angewiesen.
Es geht aber auch um die Täter. In dem Buch „Gewalt in der Körperbehindertenhilfe …“ werden sie namentlich genannt:
Gertraude Steiniger (Lehrerin)
Ewald Friedrichs (Lehrer und Rektor)
Erika Severin (Lehrerin)
Martha Statz (Diakonisse)
Elise Dickschat (Diakonisse)
Eugenie Zoller, genannt „Jenny“ (Diakonisse)
Dr. Alfred Katthagen, erst Oberarzt, dann Chefarzt der Orthopädischen Klinik Volmarstein.
Sie haben, einige mehr, andere weniger, behinderte Kleinkinder und Schulkinder mißhandelt oder wurden an ihnen zu Verbrechern.
Und es geht um jene Institutionen, die in der Aufsichtspflicht völlig versagt haben:
Die Hausleitung des Johanna-Helenen-Heims Diakonisse Elfriede Kehler-Hoffmann
Die Anstaltsleiter Pastor Hans Vietor, Pastor Ernst Kalle und Rudolph Lotze
Die Mitarbeiter/innen der Orthopädischen Anstalt Volmarstein, die das Leid der Kinder sahen und schwiegen
Das Jugendamt und das Vormundschaftsamt Volmarstein
Die Verwaltung Volmarstein mit ihrem Bürgermeister Henning
Das Jugendamt des Ennepe-Ruhr-Kreises
Der Landschaftsverband Rheinland
Das Landesjugendamt Rheinland
Der Landschaftsverband Westfalen
Das Landesjugendamt NRW
Die Landesregierung NRW
Die Innere Mission der Evangelischen Kirche von Deutschland, heute Diakonie Bundesverband (Diakonisches Werk).
Wenn die Runden Tische 1 (Dr. Antje Vollmer) und 2 (Dr. Christine Bergmann) ihre Beschlußempfehlungen an die Bundesregierung und/ oder an den Bundestag
formulieren, dann haben sie die Pflicht, auch die oben aufgeführten Verbrechen und Brutalitäten zu berücksichtigen.
Dabei fordert die „Freie Arbeitsgruppe JHH 2006“ aber auch, daß Begriffsklitterungen im Kontext von Geschichtsklitterungen unterlassen werden. Im
Johanna-Helenen-Heim hat Zwangsarbeit stattgefunden. Beispiel ist die Zwangsarbeit eines 9-jährigen Mädchens, auf unserer ersten Homepage und im Buch der Historiker dokumentiert. Völlig außer Zweifel steht
heute, daß im Johanna-Helenen-Heim massivste Menschenrechtsverletzungen stattgefunden haben. Wer immer noch daran zweifelt, ist moralisch unanständig.
Bei der Beschlußempfehlung der Runden Tische geht es nicht mehr nur um Entschuldigungen. Nach 4 Jahren Wartens haben die in der Rechtsnachfolge stehenden
Verantwortlichen in Kirche und Staat diese Chance verwirkt. Darauf können die meisten Heimopfer heute verzichten, weil nach so langer Zeit diese wohl kaum noch glaubwürdig erscheinen kann. Die Evangelische
Stiftung Volmarstein (ESV), vertreten durch ihren Vorstandssprecher Pfarrer Jürgen Dittrich, hat sich entschuldigt. Es ist Dittrich, der durch Worte, Veröffentlichungen und Taten vermittelt, daß diese Entschuldigung glaubhaft ist.
Heute geht es um Wiedergutmachung und vor allem um Wiedergutmachung. Sie soll anstrengen und wird evtl. sogar wehtun. Die Verbrechen an den behinderten Klein-
und Schulkindern haben ihnen wehgetan. Sie muß auch Geld kosten, weil Täter und Weggucker behinderte Kinder in die Armut trieben. Und die Wiedergutmachungsbemühungen werden erst dann zuletzt glaubwürdig, wenn
den damaligen Opfern ein weiterer Heimaufenthalt erspart wird. Schon der Gedanke daran macht die meisten erneut zu Opfern!
Wir rufen die einzelnen Behörden und Rechtsträger auf, sich zusammenzufinden und endlich solche Konzepte der Wiedergutmachung zu erstellen und umzusetzen,
die über die Wiedergutmachungsbemühungen der ESV und auch über evtl. vorhandene Pflichtleistungen hinausgehen. Die ESV kann die Last nicht allein schultern.
Deshalb fordern wir einen „Runden Tisch Volmarstein“ Nicht erst nach den Abschlußberichten, sondern sofort!!!
Ihr,
die Landschafsverbände,
die Evangelische und Katholische Kirche,
die Caritas und das Diakonische Werk,
die Stadtverwaltung Wetter,
die Sozialverwaltung Ennepe-Ruhr-Kreis,
entscheidungsbefugte und kompetente Vertreter der Landesregierung NRW,
habt die Pflicht zur Teilnahme am „Runden Tisch Volmarstein“.
Nicht erst nach den Abschlußberichten, sondern sofort! Das seid Ihr Euren Opfern schuldig. Die Evangelische Stiftung Volmarstein ist aufgerufen, zu diesem
„Runden Tisch Volmarstein“ einzuladen. Aus diesem Grunde trägt eine der ersten Seite unserer neuen Homepage die Seitenbezeichnung „Runder Tisch Volmarstein“.
Die erste Homepage (www.gewalt-im-jhh.de) bleibt im Netz. Sie ist ein Zeitdokument. Sie soll wenigstens weitere 20 Jahre im Netz bleiben. Sie soll der Forschung, der Lehre, der Erinnerung und der
Mahnung dienen.
Auf den zukünftigen Seiten „Blick über den Tellerrand“ werden nur noch solche Dokumente veröffentlicht, die der längerfristigen Archivierung
bedürfen. Andere Tagesmeldungen werden im Blog
www.gewalt-im-jhh.over-blog.de/
zu finden sein. Blogs sind leichter und schneller zu aktualisieren. Dieses „Internet-Tagebuch“ ist ab sofort einsehbar.
Auf dieser zweiten Homepage geht es nicht mehr so sehr um die Evangelische Stiftung Volmarstein. Sicher werden wir beispielsweise über den Bau und die
Einweihung des „Marianne-Behrs-Hauses“ berichten, auch über gemeinsame Sitzungen und weitere Vereinbarungen. An dieser Stelle ist es uns aber wichtiger, aufzuzeigen, wie Kirche, Staat und Gesellschaft mit der
dunklen Geschichte der 50er bis 70er Jahre umgehen und wie sie den Forderungen nach Wiedergutmachung begegnen.
Freie Arbeitsgruppe JHH 2006 i.A. Helmut Jacob (Gruppensprecher)
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