Ich nehme die Entschuldigung nicht an
Helmut Jacob * Am Leiloh 1 * 58300 Wetter - privates Schreiben an:
Evangelische Stiftung Volmarstein Kuratorium - Aufsichtsrat - Vorstand
Hartmannstraße 58300 Wetter
Ihr Schreiben vom 12. Mai 2011
Vergangenheitsbewältigung ist nur dann glaubhaft, wenn man bereit ist,
für die Opfer auch Opfer zu bringen. Dipl.-Theologe/Dipl.-Psychologe Dierk Schäfer http://dierkschaefer.wordpress.com/2010/07/25/ein-neues-stuttgarter-schuldbekenntnis/
Die dritte Demütigung
Missbrauchte Heimkinder haben Respekt verdient. Und Geld. Was kostet ein verpfuschtes Leben? Wie viel Geld braucht es, um das Unrecht, das zahllosen Heimkindern im Deutschland der fünfziger und sechziger Jahre
zugefügt wurde, zu sühnen? Und ist Sühne überhaupt möglich? Es ist das selbe Dilemma, das sich auch im Streit um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern gestellt hat: Was geschehen ist, lässt sich nicht mit
Geld aus der Welt schaffen. Und doch können finanzielle Hilfen für die Opfer auch noch nach Jahrzehnten ein Weg sein, die Vergangenheit erträglicher zu machen. Im Fall der Heimkinder sind solche Zahlungen sogar
unumgänglich. ... Gibt es am Ende gar kein Geld für die Heimkinder? Das wäre nach dem Missbrauch und dem jahrzehntelangen Schweigen darüber die dritte Demütigung für die Opfer. http://www.zeit.de/2010/50/P-Missbrauch-Kinder
Viele ehemalige Heimkinder leiden bis heute unter den traumatischen
Erlebnissen ihrer Schulzeit. Sie brauchen Geld, für Therapien oder weil sie, so die bittere Ironie der Geschichte, nicht selten in ähnlich prekären Verhältnissen leben, derentwegen sie die Jugendämter
seinerzeit in Heime abgeschoben haben. Es werden erhebliche Summen sein müssen, wenn sie die Folgeschäden der Heimunterbringung dieser Menschen wirksam lindern sollen – in Einzelfällen auch mehr als
hunderttausend Euro. http://www.zeit.de/2010/50/P-Missbrauch-Kinder?page=2
„Wenn das bestehende Recht nicht ausreichen sollte, angemessene
Entschädigungen zu zahlen, stehen deshalb die Träger der Heime in der moralischen Pflicht, über eigene Modelle der Hilfe nachzudenken. Denn eines darf nicht sein: dass nach Jahrzehnten des
Unter-den-Teppich-Kehrens die letzte Chance vertan wird, den immer älter werdenden Opfern Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen.“ http://www.presseportal.de/pm/58964/1354765/neue_osnabruecker_zeitung
Sehr geehrte Damen und Herren,
fünf Jahre hat es gebraucht, bis die Verbrechen an den Hilflosesten der
Gesellschaft, nämlich an behinderten Klein- und Schulkindern, ansatzweise aufgearbeitet werden konnten. Viele Verbrechen bleiben in ihrer Häufigkeit im Dunkeln. So beispielsweise das Leid der Kleinkinder auf der
Kleinkinderstation, die Gewalt gegen Kinder in anderen Häusern und die sexuelle Gewalt. Zu wenig Opfer der Orthopädischen Anstalten Volmarstein (OAV) haben den Mut gefasst, ihr Leiden auszusprechen. Viele von
ihnen haben auch gesagt: „Das bringt sowieso nichts“. Wir wissen von Ehemaligen, die unermessliche Gewalt ertragen mussten. Sie äußern sich nicht. In diesem Zusammenhang denke ich an „Jaschko“, dem die
Sadistin Gertraude Steiniger ihren Gehstock, der ihre Behinderung ausgleichen sollte, so ins Kreuz schlug, dass dieser schwere Stock zerbrach.
Am 19. März 2006 begann durch einen Leserbrief der Aufarbeitungsprozess.
http://gewalt-im-jhh.de/Wie_alles_begann_-_Presseberic/wie_alles_begann_-_presseberic.html
Erst dreieinviertel Jahre später hat die Evangelische Stiftung Volmarstein
(ESV) den Mut zu einer scheinbar aufrichtigeren Entschuldigung gefunden. http://gewalt-im-jhh.de/-_Entschuldigung_ESV/-_entschuldigung_esv.html
Die Entschuldingungsformulierungen des vorherigen Stiftungssprechers Ernst
Springer in seiner „Volmarsteiner Erklärung“ konnten von niemandem ernst genommen werden und wurden auch von der „Freien Arbeitsgruppe JHH 2006“ (FAG) als Unverschämtheit betrachtet, hier unter anderem die
Heranziehung von Zitaten aus dem Alten Testament zur teilweisen Rechtfertigung der Gewaltexzesse sadistischen Personals (siehe Anhang S. 10, 11). http://gewalt-im-jhh.de/Volmarsteiner_Erklarung_von_Er/volmarsteiner_erklarung_von_er.html
Die Frage, ob wir die neue Entschuldigung annehmen, hat die Arbeitsgruppe
bewusst zurückgestellt. Sie war auch mit diesen Formulierungen nicht einverstanden, sah allerdings das Dilemma, in dem sich Pfarrer Dittrich befand. Die FAG meinte erkannt zu haben, dass Dittrich auch nur
ausführende Person des Aufsichtsrates und Kuratoriums sein kann. Wir können uns auch heute nicht vorstellen, dass er kritische Worte zu den lächerlichen angeblichen Aufarbeitungsbemühungen seines Vorgängers
Springer formulieren darf, zumal der Kuratoriums- und Aufsichtsratsvorsitzender in Union Hans-Dieter Oelkers mit Springer befreundet war.
So haben wir die Frage offen gelassen, ob wir diese Entschuldigung annehmen
und beschlossen, auf die Taten der Wiedergutmachung zu warten. An den Taten wollten wir uns orientieren und uns dann für oder gegen die Annahme der Entschuldigung entscheiden. Nun liegen alle Fakten auf dem Tisch
und ich schicke voraus:
Ich nehme die Entschuldigung nicht an.
Dabei spreche ich nicht für die Arbeitsgruppe, auch, weil ich nicht mehr ihr
Sprecher bin. Ich weiß auch nicht, ob und wie die FAG diese Absage der Opferrente beurteilt. Dennoch möchte ich als Privatperson und stark betroffenes Opfer von Gewalt und Terror begründen, warum ich die
Entschuldigung nicht akzeptieren darf:
Ich empfinde das Entschuldigungsschreiben der ESV vom 15. Juni 2009 als
Beleidigung. Es war nicht nur die fehlende persönliche Ansprache, die mir den Eindruck einer Postwurfsendung aufdrängte. Ich finde jeden Satz kritikwürdig und stellenweise skandalös.
Wenn die ESV schreibt, daß erst durch die Wissenschaftler das Ergebnis
vorliegt, ignoriert sie die Ergebnisse der FAG, die bereits seit November 2008 nicht nur der ESV vorliegen, sondern gleichzeitig veröffentlicht wurden.
Die Formulierung „war es im wesentlichen eine schlimme Zeit“ ist eine
Verharmlosung der Verbrechen, die in dieser Zeit stattgefunden haben. Hier verweise ich auf Kapitel 5 unserer Ausarbeitung und auf die Auflistung der Verbrechen http://gewalt-im-jhh.de/Zusammenfassung_der_Aufarbeitu/zusammenfassung_der_aufarbeitu.html
Hier noch einmal – für Nicht-PC-Besitzer - eine Zusammenstellung:
Zu den einzelnen Misshandlungen und Straftaten
Eindeutig an erster Stelle, weil am häufigsten genannt, sind Schläge und
sonstige körperliche Misshandlungen sowohl durch den größten Teil der Stationsschwestern als auch durch drei Lehrerinnen und den ersten Schulrektor. Zu dieser Kategorie zählen:
- Hiebe mit dem Krückstock auf die Finger
- Hiebe mit dem Krückstock auf den Kopf, gegen den Rücken, in die Kniekehle
- Unkontrollierte Hiebe mit dem Krückstock ohne Beachtung des Ziels
- Schläge mit den Fäusten auf den Kopf, ins Gesicht, auf die Ohren
- Schläge mit den flachen Händen ins Gesicht und auf die Ohren
- Das Schleudern des kindlichen Körpers gegen Heizungsrohre
- Aufschlagen des Kopfes auf die Pultplatte
- Einquetschung des Kopfes in die Flügel der klappbaren Schultafel
- Traktieren der
„Eckensteher“ mit dem Stock - wenn sie gefallen sind - solange, bis sie wieder aufstanden
- Werfen von Gegenständen nach Kindern
- In einem Fall:
Zusammentreten eines Kindes, dass zuvor unter dem Lehrerpult gefangen gehalten wurde
- Kindern an den Haaren ziehen und dabei über den Holzfußboden ziehen
- Kinder ohne Vorwarnung schlagen
Weitere Gewalttätigkeiten bestanden in der Ausübung psychischer Gewalt:
- Kleinkinder mit dem „Bullemann“ oder der Leichenhalle drohen
- Kleinkinder und andere
Kinder in permanente Angstzustände versetzen durch Drohungen, unangekündigte Schläge, Schlafentzug, unkontrollierte Gefühlsausbrüche
- Zerstörung jeder Regungen
von Mitgefühl für die Mitschüler durch Aufstachelung zur Anzeige irgendwelcher Vergehen (hat ins Bett gemacht, hat wieder mit dem Kopf gewackelt) und Belohnung in Form wohlwollender Zuwendung (freundliche Worte)
- Isolationsfolter,
stundenlanges, tagelanges, wochenlanges Einsperren in Badezimmer, Abstellraum oder Wäschekammer - oder im Urlaub in einem leeren Zimmer.
- Beleidigung: „Du bist nicht dumm, sonder asozial.“
- Psychische Folter: Insekten
ins Bett legen und Betroffene zwingen, sich nackt auf die teils lebenden Insekten zu legen.
- Anstiftung zum Denunzieren.
- Aufforderung einzelner Mitarbeiter an einzelne Kinder einzelne andere Kinder zu schlagen.
Sexueller Missbrauch
Hier sind an erster Stelle die Verbrechen des Rektors F. zu nennen, der sich
an mindestens 5 Schülerinnen und Schüler verging und zusah, wenn andere dies taten. In diese Kategorie sortieren wir aber auch ein:
- Zur-Schau-Stellung der sekundären Geschlechtsmerkmale
- Stimulierung und Erregung
von Jugendlichen unter Einsatz des Waschlappens und Seife, wobei die direkte Berührung mit den Händen nicht ausgenommen war
- Fortführung dieser Stimulierungen bis zu den bekannten Ergebnissen
- Hinzuziehung von jungem
Personal zur Besichtigung der Geschlechtsregion unter Hinweis auf Pickel, die behandelt werden müssten
- Anschließende Bestrafung dieser Opfer, weil sie angeblich „Schweine“ seien.
- Auskleiden und neu Einkleiden von Mädchen, bereits im Speisesaal vor allen anderen Mädchen
- Untersuchung der Brüste
und des Intimbereiches auf Weiterentwicklung, wobei vordergründig Büstenhalter angepasst werden sollten
- Herunterziehen der Hose wenigstens eines männlichen Schülers durch die Lehrerin ST
Weitere Brutalitäten:
- Wegnahme des Spielzeugs
- Einschränkung der
Flüssigkeitszufuhr; In einigen Fällen bis zur Reduzierung auf eine halbe Tasse Muckefuck pro Tag
- Zertreten und Zerstören von Spielzeug
- Schwere körperliche
Arbeit, in einem Fall bereits ab 7 Jahren. Alle Ehemalige, die zu körperlicher Arbeit fähig schienen, wurden eingesetzt.
- Verletzung des
Briefgeheimnisses, Zensur der ausgehenden Briefe, Verhinderung von Briefsendungen, Vorenthaltung von Briefeingängen.
Zur medizinischen Versorgung:
- Fehlende Medikamente, da diese in die DDR verschickt wurden.
- Fehlende Behandlung von
Mittelohrentzündungen, in deren Folge es zu Operationen und einseitigen Taubheiten kam.
- Keine Behandlung zumindest einer Mittelohrvereiterung
- Druckstellen wurden erst behandelt, wenn sie völlig vereitert waren (HD).
- Abbruch der bis dahin medizinischen Behandlung nach Einweisung ins JHH (HO).
Selbst, wenn wir nur die bereits von Springer in der „Volmarsteiner
Erklärung“ zugegebenen Verbrechen berücksichtigen, stellt obige Formulierung „war es im wesentlichen eine schlimme Zeit“ eine Verharmlosung dar. http://gewalt-im-jhh.de/ESV_will_Schreckenszeit_im_Int/ESV_7kurz.jpg
Die ersten Sätze des zweiten Abschnitts des Entschuldigungsschreibens sind
schlichtweg inakzeptabel! Zitat: „Die damaligen Verstöße stellen nach heutiger Erkenntnis massives Fehlverhalten dar. Sie waren offensichtlich leider keine ,Einzelfälle‘, wie wir zunächst vermuteten,
sondern weit mehr: Kinder und Jugendliche in diesem Haus waren Übergriffen von Mitarbeitenden ausgesetzt, die eigenmächtig einem falsch verstandenen pädagogischen Verständnis nacheiferten. Es sah Bestrafung in
übelster Weise vor und ließ die Würde und die Achtung vor dem Mitmenschen völlig außer acht.“
„Die damaligen Verstöße“ waren Verbrechen! Sie stellten nicht erst
„nach heutiger Erkenntnis“ und schon gar nicht „massives Fehlverhalten“ dar, sondern waren auch schon zu damaliger Zeit justiziable Verbrechen. Wir haben die ESV in unserer Dokumentation vom November 2006
sogar die entsprechenden Paragraphen herausgesucht. Diese schlichtweg zu ignorieren, empfinde ich persöhnlich als Verhöhnung unserer gesamten Arbeitsgruppe, zumal selbst in dem Buch der Historiker auf die Tatsache
hingewiesen wurde, dass hier teils justiziable Taten stattfanden.
Wenn im Folgenden von „eigenmächtig“ handelnden Mitarbeitern gesprochen
wird, so werden die Eingaben des damaligen Diakonenschülers Jochen Twer bei Anstaltsleiter Ernst Kalle, der Diakonischen Helferin Christel Reuter bei der Hausleiterin Schwester Elfriede, die Eingaben des
Mitschülers Wolfgang Möckel ebenfalls bei Kalle, Proteste einiger Eltern bei Kalle und Elfriede, völlig ignoriert und damit elegant vertuscht, daß diese Eigenmächtigkeiten von oben gedeckt wurden. Niemand,
außer ansatzweise Steiniger, hat „einem falsch verstandenen pädagogischen Verständnis“ nachgeeifert. Weil es keine pädagogischen Konzepte gab oder zumindest nicht nach ihnen vorgegangen wurde.
Wir wären ja schon froh gewesen, wenn es nur „Bestrafung in übelster
Weise“ gewesen wäre. Dann könnte man diese Bestrafung im Kontext der Zeit betrachten. Diese Gewaltorgien fanden allerdings oft völlig ohne Grund und völlig ohne Bezug statt. Sie waren unkontrolliert, geschahen
überwiegend unangekündigt, willkürlich und hatten oft stark ausgeprägte sadistische Züge.
„Die Würde und die Achtung vor den Mitmenschen“ wurde nicht erst im Zuge
der „Bestrafung in übelster Weise“ mit Füßen getreten, sondern beispielsweise bereits im Hinblick auf die Unterkünfte. Oder können Sie in den Massenunterkünften, ohne persöhnliche Rückzugsmöglichkeiten,
„Würde und Achtung vor dem Mitmenschen“ erkennen? http://gewalt-im-jhh.de/Das_Johanna-Helenen-Heim_1955-/das_johanna-helenen-heim_1955-.html
„Auch die Leitung hat nicht angemessen reagiert“, schreiben Sie in Ihrer
Entschuldigung. Wie bitte ? Sie hat überhaupt nicht reagiert. Sie ist ihrer Aufsichtspflicht sträflichst nicht ansatzweise nachgekommen; mehr noch: sie hat Beschwerden abgewimmelt. Sie selbst wurde Täter.
„Daneben hat es auch damals Mitarbeitende gegeben, die Ihnen zur Seite
gestanden und Ihnen so auch vielleicht manche Hilfestellung gegeben haben.“, heißt es weiter. Es fehlt der Hinweis, daß diese Mitarbeiter Repressalien ausgesetzt waren und z. B. Diakonenschüler Twer massiv
unter Druck gesetzt wurde, seinen Praktikumsbericht http://gewalt-im-jhh.de/Auszug_aus_einem_Praktikumsber/auszug_aus_einem_praktikumsber.html zurückzunehmen, was er nicht tat.
Zitat aus dem Entschuldigungsschreiben: „Dass damals die Leitung der
Stiftung in finanziell angespannter Zeit auf die Zuweisung von öffentlichen Mitteln wartete, um durch einen Neubau die schlechten räumlichen Verhältnisse zu verbessern und zu überwinden, erklärt vielleicht
manches. Aber dies entschuldigt nicht die bedrückende Situation, wie sie in Einzelschilderungen beschrieben wird.“
Obwohl es die ESV längst anders weiß, arbeitet sie immer wieder mit dem
Totschlagargument geringer Geldmittel und betont auch hier die „finanziell angespannte Zeit“. Dabei haben wir mehrmals aufgezeigt, daß es trotz „finanziell angespannter Zeit“ in anderen Häusern besser war,
es menschenwürdiges Essen gab und keine Gewaltorgien stattfanden. Die Hausenge war auch gar nicht das Urproblem der Kinder. Die Gewalt, das Eingesperrtsein, die wenigen Freigänge auf dem winzigen Hof, die
permanente Angst, haben die „bedrückende Situation“, wie die ESV diesen Zustand umschreibt, ausgemacht. http://gewalt-im-jhh.de/Das_Johanna-Helenen-Heim_1955-/Hof.jpg
„Dass damals die Leitung der Stiftung in finanziell angespannter Zeit“
allerdings Geld für eine noch heute völlig überflüssige neue Kirche sammelte - obwohl eine kaum gefüllte Holzkapelle vorhanden war – http://gewalt-im-jhh.de/Fakten_zur_Volmarsteiner_Erkla/fakten_zur_volmarsteiner_erkla.html und: http://gewalt-im-jhh.de/Fakten_zur_Volmarsteiner_Erkla/Martinskirche.JPG anstatt
schimmeliges Brot mit Rübenkraut gegen Brötchen mit Schinken und gekochte Speckschwarten mit Borsten gegen Schnitzel auszutauschen, ist ein Skandal an sich. Selbst in die Holzkapelle wurden nach Berichten
ehemaliger Bewohner beispielsweise der Frauenstation des JHH die Behinderten nachdrücklich „eingeladen“ und gegebenenfalls von dem Pfarrer zur Teilnahme am Gottesdienst abgeholt.
Weiter heißt es: „Dass Mitte der 90er Jahre Hinweisen auf diese
Missstände im Johanna-Helenen-Heim nur sehr zurückhaltend nachgegangen wurde, kann ich mir nur so erklären, dass die Zeit für die Aufarbeitung - wie sie jetzt geschehen ist und geschieht - noch nicht reif
war.“
Zwangsläufig stellen sich mir folgende Fragen:
1. Will Pfarrer Dittrich seinen Vorgänger Springer aus der Schußlinie
halten? Springer wurde ja 1996 nachweislich von Bach informiert und hat noch im Jahre 2006 versucht, Bach zu diskreditieren. http://gewalt-im-jhh.de/Grobe_Unwahrheit_-_ESV-Leiter_/Unwahrheit_2klein.jpg
Für Nicht-PC-Besitzer hier aus dem Zeitungsartikel: „´Wie vor den Kopf
geschlagen` sei die Abschiedsgesellschaft 1996 angesichts dieser ´absolut nebulösen` Eröffnungen gewesen. Es sei das Problem von Ulrich Bach, ´dass er ein absolut verschlüsselter Mensch ist`, erklärt Springer,
warum diese Schilderungen damals keine Nachforschungen nach sich gezogen hätten.“
2. Wann bitteschön darf denn nach Empfinden der ESV der richtige Zeitpunkt für die Aufarbeitung sein?
3. Ist dies denn nach Empfinden der ESV jetzt überhaupt der richtige Zeitpunkt?
4. Wer legt den richtigen Zeitpunkt fest?
5. Ist 40 Jahre später nicht der richtige Zeitpunkt (so z.B. der juristische) schon verpaßt?
Im letzten Abschnitt endschuldigt sich die ESV dafür, daß wir „in der
genannten Zeit Repressalien ausgesetzt waren, wie sie in der Dokumentation nachzulesen sind.“
Mein Duden sagt dazu:
Re|pres|sa|lie * [...©Ù] <lat.-mlat.>die; -, -n (meist Plural): Druckmittel, Vergeltungsmaßnahme.
(c) Dudenverlag
Wie also soll ich diesen Begriff verstehen? Waren es nur Druckmittel? Kann
man von Vergeltungsmaßnahmen sprechen, wenn ohne Sinn und Konzept misshandelt wurde und der Strafcharakter oft gar nicht im Vordergrund stand?
Warum diese scheinbare Kleinkarriertheit beim Verstehen dieses
Endschuldigungsbriefes? Weil diese Formulierungen genau diesen Sprachstil, der flächenübergreifend bei der Abarbeitung der Heimskandale angewandt wird, kopiert. Es ist eine interne Sprachregelung, an die man sich
mehr oder weniger hält; zuvor übrigens auch Springer. Es hat eigentlich noch ein Satz gefehlt, um diese Sprachregelung komplett zu dokumentieren: „Heute machen wir alles besser“ oder ähnliches Geschwafel. Das
Vorwort der ESV im Buch ähnelt denn auch dem des Vorwortes des Vorstandsvorsitzenden Ulrich Pohl der Bethelschen Anstalten und dem bald erscheinenden Vorwort der Leitung der Stiftung Wittekindshof.
Zum Schluß Anmerkungen des Dipl. Theologen / Dipl. Psychologen Dierk
Schäfer, Pfarrer i.R.: (mit freundlicher Genehmigung) zu dem Entschuldigungsschreiben, das ich ihm seinerzeit mit der Bitte um eine Stellungnahme zugeschickt habe:
”sie haben die volle anerkennung bekommen. aber mehr (ich hoffe, nur vorläufig) nicht.
unschön ist der vorsichtige versuch, gut gegen böse abzuwägen, doch auch hier: "die negativen Ergebnisse waren prägender." was nicht im schreiben steht, sind die seelischen schäden, die sie
erlitten haben, schäden, die sich nachhaltig auf die lebensläufe ausgewirkt haben und für die es eine finanzielle kompensation geben muß.
Einige Stunden später in einer zweiten Email: “ich kam spät heim, habe nun zu abend gegessen, und muß noch etwas nachlegen:
das schreiben von herrn dittrich finde ich eher empörend. hätte es sein vorstandskollege, der diplom-betriebswirt neumann geschrieben, wäre ich nachsichtiger. ich verstehe nicht, warum solche leute
pfarrer geworden sind, wenn sie kein herz oder wenigstens verständnis für menschen in schwierigen lagen haben, in diesem fall, für menschen, denen folgenschweres unrecht getan wurde -- und das noch von der
institution, die sie vertreten. natürlich kann man nicht erwarten, daß sich volmarstein für die ehemaligen heimkinder so verschuldet, daß es nicht mehr arbeiten kann, obwohl der wirtschaftliche bankerott
nach dem moralischen durchaus folgerichtig wäre. aber hätte herr dittrich sich in seinem schreiben wenigstens verpflichtet gezeigt, als sachwalter für die ehemaligen heimkinder aus "seinem" heim zu
fungieren, hätte er zugesichert, daß er eine schadenskompensation organisieren werde und dazu auch heimmittel, wenn auch nur im bescheidenen rahmen, einsetzen will, dann, aber auch nur dann wäre er glaubwürdig.
doch für diese dinge scheint er blind zu sein. ... doch eines kann man schon öffentlich herausstellen: ethik wird erst dann richtig glaubwürdig, wenn sie auf dem prüfstand steht und etwas kostet. sonst
bleibt sie sonntagsgeschwätz oder -- schlimmer noch -- heuchelei.
Ich teile alle Ansichten des Schreibers. Er hat meine Gefühle zu diesem
Entschuldigungsbrief wiedergegeben.
Welche Taten sind nun aus dem Entschuldigungsschreiben erwachsen?
Historiker wurden beschäftigt und ein Buch geschrieben, mit Sicherheit nicht
mit dem überzeugten Willen der ESV. Für Springer reichte die vorschnelle Volmarsteiner Erklärung bereits nach einem viertel Jahr.
Ein neues Kinderheim wird nach einem Opfer benannt. Dazu schreibt Dierk Schäfer:
„Die Absicht der Evangelischen Stiftung Volmarstein, ein neues Heim in der
Nähe des Johanna-Helenen-Heims nach einem mißhandelten Heimkind zu benennen, ist nach meiner Ansicht die höchste Anerkennung, die auf der symbolischen Ebene möglich ist. Natürlich darf es nicht bei der Symbolik
bleiben. Aber wer ein so hohes Symbol setzt, wird sich der Erwartung nicht widersetzen wollen/können, auch die finanzielle Seite der Rehabilitation angemessen zu regeln.“
Von Symbolen allein kann man nicht leben. Insbesondere nicht Behinderte,
deren Biografie durch die OAV in Schutt und Asche gelegt wurde, die heute arm sind und mit einer geforderten lächerlichen Opferrente von 300 Euro monatlich für absehbare zehn Jahre nach verlorenen Kindheitsjahren
wenigstens ein bisschen mehr Würde im Alter erleben wollen. Die Verweigerung dieser Rente und Abwälzung des Problems auf den „Runden Tisch Heimerziehung“ (Vollmer) stellt eine erneute Misshandlung der Opfer
der OAV dar. Eine derartige Entsorgung des Problems ist unmoralisch.
Die Renovierung einer Wohnung eines Betroffenen nach über zwanzig Jahren mit
einer Laufzeit von über einem Jahr ist keine Opferhilfe. Die zugesagte Behindertenassistenz von ein bis zwei Stunden wöchentlich für den selben Betroffenen findet seit Monaten nicht statt. Einem anderen
Behinderten wurde eine schöne Wohnung mit großer Terrasse gestellt, allerdings nicht die täglich notwendige Behindertenassistenz für wenigstens zwei Stunden. So verbringt er mehr oder weniger einsam seine
Tage.
Weil ich diese Kosmetik nicht als Wiedergutmachung verstehen kann, muss ich
die Entschuldigung als unaufrichtig zurückweisen. Andernfalls würde ich meinen geschundenen Mitschülern ins Gesicht schlagen.
Mit freundlichen Grüßen
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