E-Mail von Dr. Ernst-Walter Katthagen, Mallorca
Santanyí, 9/ juin 2010
Sehr geehrter Herr Prof. Schmuhl!
Als Sohn des in Ihrem Buch „Gewalt in der Körperbehindertenhilfe“ erwähnten ehemaligen Chefarztes der heutigen ESV, Dr.med. Alfred Katthagen,
melde ich mich bei Ihnen. Zeit meines Lebens bis zu meinem Wegzug 2001 nach Spanien habe ich in der ESV gelebt, bzw. war beruflich mit ihr verbunden. Ich bin ein sehr enger Zeitzeuge, ebenso wie mein
Bruder.
Mein Mitgefühl gilt den im JHH aufgewachsenen jugendlichen Behinderten und ich kann deren Wunsch verstehen, nie wieder im Leben auf ein „Heim“
angewiesen zu sein, sondern in häuslicher Umgebung den Rest des Lebens zu verbringen.
Leider wird Ihr Buch den Behinderten nicht ausreichend gerecht. Sie haben ausgesprochen schlecht recherchiert und völlig ungeordnet Dinge
aneinander gereiht. Für einen unbefangenen Leser nennen Sie nicht „Roß und Reiter“, wie es sich gehört hätte.
Zur Klarstellung:
Pastor D. Dr.med.h.c. H Vietor war als Anstaltsleiter bis 1956 hauptverantwortlich für die Aufsicht des JHH. Seine beeindruckende Abschiedspredigt
vom 3. Advent/16. Dezember 1956 erwähnen Sie mit keinem Wort. Seine drei noch lebenden Enkel befragen Sie meines Wissens nicht als Zeitzeugen.
Pastor Kalle war von 1956-1967 als Anstaltsleiter Hauptverantwortlicher für die Aufsicht im JHH. Die Martinskirchengemeinde hatte immer einen
Seelsorger, der sich um die Belange der Mitglieder kümmern sollte. In Ihrem Buch kommt nicht deutlich zum Ausdruck, wenn diese dieses nicht ausreichend getan haben.
Warum erwähnen Sie nicht z.B. als Zeitzeugin die heute noch lebende Ehefrau von Pastor Theurer, ebenfalls Pfarrer dieser Kirchengemeinde?
Ärztliche Verantwortliche:
Dr.med. L. Gau war bis 30.9.1944 Chefarzt der heutigen ESV und damit verantwortlich und Vorgesetzter von Dr.med. A. Katthagen. Dr. Gau wohnte 2
Häuser neben dem JHH. Wurde sein noch lebender Enkel, der mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebte, befragt?
Dr.med. O.S. Bohne war als Chefarzt vom 1.10.1947 bis zum 31.3.1960 ärztlicher Verantwortlicher der heutigen ESV.
Mein Vater, Dr.med. A. Katthagen, war vom 1.4.1960 bis 31.3.1981 als Chefarzt ärztlicher Verantwortlicher der heutigen ESV.
Sie haben es versäumt, mich (mindestens zweimal auf der Homepage der Freien Arbeitsgruppe JHH erwähnt) und meinen Bruder zur Person des Vaters zu
befragen. Sie haben es versäumt, seine heute noch lebenden engen Mitarbeiter zu ihm zu befragen. Statt dessen erwähnen Sie einen weit entfernten Mitarbeiter (E. Meinecke), der sich an Dr. Katthagen als
„durchrauschenden Chefarzt“ erinnert. Dabei ist gerade dieser Herr Meinecke meines Wissens für einen großen Skandal im Altenpflegebereich verantwortlich, der zur Entlassung eines und nach
arbeitsgerichtlicher Rehabilitation wieder eingestellten Mitarbeiters geführt hat. Noch heute leidet dieser Mitarbeiter durch dieses Geschehen erheblich unter psychischen Störungen. Bemüht sich die ESV
hier um Wiedergutmachung?
In Ihrem Buch überschreiben Sie das Unterkapitel 2.3.4. mit „Ärzte“, also einen ganzen Berufsstand bezeichnend. In Wirklichkeit schreiben Sie aber
nur über einen Arzt, meinen Vater. Was bezwecken Sie damit?
Das Hauptkapitel 7 überschreiben Sie „Dr. Alfred Katthagen: zwischen Bekennender Kirche und Eugenik“. Was bezwecken Sie damit? Was hat dieses
Kapitel mit der Gewalt in der Körperbehindertenhilfe und mit angeblichen Stockschlägen meines Vaters zu tun?
Wenn Sie sich schon so ausgiebig meinem Vater widmen, warum erwähnen Sie dann seine Leistungen im Aufbau der Rehabilitation in Deutschland nicht?
Ihm war hierfür ein Lehrstuhl an der Universität Bonn angeboten worden.
Warum erwähnen Sie nicht, daß es u.a. seiner Energie als Vorstandsmitglied zu verdanken war, daß die Oberlinschule und das Oskar Funcke Haus
gebaut wurden?
Warum erwähnen Sie nicht, daß bei dem verheerenden Klinikbrand 1961 der Kleinkindersaal von Feuer und Rauch abgeschnitten war und mein Vater unter
Lebensgefahr vom Stockwerk darüber herabsprang, um die Kinder zu retten und sich dabei beide Beine brach?
Warum erwähnen Sie nicht, daß mein Vater für seine Lebensleistung in der ESV mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde? Statt dessen lassen
Sie sich über eine meinem historisch interessierten Vater von seinem Doktorvater zugeteilte Dissertationsschrift aus, die in meinen Augen (die Arbeit liegt mir vor) einen zur damaligen Zeit guten
Überblick über die zu der Zeit geltenden Kenntnisse der Eugenik (auch in anderen Völkern) gibt.
Mit Ihrem Buch, von dem kirchlichen Vorstand der heutigen ESV in Auftrag gegeben, verwirren Sie durch ungeordnet und ungenügend recherchierte,
aneinandergereihte, fleißig erfragte Vorkommnisse, die leider den Betroffenen überhaupt nicht gerecht werden.
Die Geschichte muß neu recherchiert und wissenschaftlich objektiv und nicht subjektiv gefärbt aufgerollt werden.
Hochachtungsvoll,
Durchschrift an: Vorstand der ESV, Pastor Dittrich Westfalenpost, Herr Görzel Freie Arbeitsgruppe JHH Prof. Dr. med. B.-D. Katthagen
Brief im Original hier klicken
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