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Landtag Nordrhein-Westfalen 14. Wahlperiode Ausschussprotokoll APr 14/1123 18.03.2010 Ausschuss für Generationen, Familie und Integration
78. Sitzung (öffentlich) 18. März 2010 13:30 Uhr bis 16:15 Uhr Vorsitz: Andrea Milz (CDU)
Punkt 7: Zwischenbericht des Runden
Tisches „Heimerziehung in den 50-er und 60-er Jahren“ - Sachstand und Schlussfolgerungen der Landesregierung [NRW] Vorlage 14/3266
Ausschussvorsitzende Andrea Milz weist auf den mit Vorlage 14/3266 zur Kennt-
nis gegebenen Zwischenbericht zum Thema des Tagesordnungspunktes hin. Die SPD-Fraktion habe einen mündlichen Bericht beantragt, um die Einschätzung der Landesregierung zu erfahren.
Für die Landesregierung erstattet Staatssekretärin Dr. Marion Gierden-Jülich (MGFFI) folgenden Bericht:
Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Sie hatten um einen
mündlichen Bericht zur Bedeutung des Zwischenberichts des Runden Tisches "Heimerziehung in den 50-er und 60-er Jahren" gebeten. Diesem Wunsch kom-
men wir gerne nach. Ich will und muss aber eingangs betonen, dass ein Ender- gebnis und damit Lösungsperspektiven zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht angebo-
ten werden können. Die Beratungen dieses Runden Tisches erweisen sich als ausgesprochen komplex. Auch der Runde Tisch selbst hat für sich noch keine Lö-
sungsstrategie entwickelt. Das wird Gegenstand in der nächsten Phase der Arbeit sein. Das Mandat des Runden Tisches geht ja bis Ende des Jahres 2010.
Daher werden wir als Landesregierung jetzt auch noch keine Schlussfolgerungen aus der Arbeit des Runden Tisches ziehen können, sind aber sehr aufmerksamer
Beobachter und Beteiligter an diesem Runden Tisch. Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sitzen als einzige Bundesländer mit an diesem Runden Tisch
und setzen sich damit sehr für das von Ihnen angesprochene Thema ein und sind um eine Aufklärung der Sachverhalte bemüht.
Aus unserer Sicht sind folgende Grundsätze wichtig:
Der Runde Tisch "Heimerziehung in den 50-er und 60-er Jahren" ist vom Deut- schen Bundestag beauftragt, die Anliegen der Heimkinder aufzuarbeiten und eine
Lösung zum weiteren Umgang mit den Geschehnissen zu entwickeln. In seinen Beratungen hat der Runde Tisch - das zeigt der Zwischenbericht eindeu-
tig - die Berichte Betroffener sehr ernst genommen. Er hat sie intensivst erörtert und auch aus unserer Sicht eine sehr eindeutige Einschätzung der Situation der
Heimerziehung in den 50-er und 60-er Jahren vorgenommen. Aus der Analyse geht hervor, dass man von der Heimerziehung in diesem Zeit-
raum nicht sprechen kann. Auch für damals gilt: Die Situation der Heimkinder in den Heimen war sehr unterschiedlich. Man kann auch nicht generell von einem
Versagen der Heimerziehung sprechen. Feststellungen wie sie in einer Presse- meldung des Vorsitzenden des Verbandes der Heimkinder vorgenommen wurden,
nahezu alle Kinder - als bis zu 800.000 in dieser Zeit - seien misshandelt worden, werden durch den Bericht jedenfalls nicht bestätigt. Sie sind auch aus unserer Sicht völlig überzogen.
Es hat aber ganz offensichtlich in einer bisher nicht bekannten Größenordnung er- hebliche Missstände und Übergriffe gegeben, die auch nach den damals herr-
schenden Erziehungsvorstellungen - es ist wichtig, dass die Heimerziehung in der damaligen Zeit nicht mit den heutigen Wertmaßstäben gemessen werden kann -
auf das Schärfste zu verurteilen sind. Generell ist festzustellen, dass damals re- pressive und restriktive Erziehungsmethoden in den Heimen vorherrschten und
der Gedanke weit verbreitet war, dass Kinder generell - aber insbesondere ge- fährdete Kinder und Jugendliche - durch Härte, Zucht und Ordnung erst zu voll-
wertigen Menschen erzogen werden müssten. Hier galt nicht nur der Zwang zum Essen, sondern auch der Zwang zur Arbeit. Züchtigung in Form von körperlicher
Gewalt gehörte ebenfalls zum Alltag vieler Heime, damals allerdings auch zur All- tagspraxis in vielen Familien. Zutreffend ist, dass Arbeit in vielen Heimen eine wesentliche Rolle spielte. Arbeit
als Teil von Erziehung war ein ganz wichtiges Mittel. Allerdings wäre der Rück- schluss, es handele sich dabei um Zwangsarbeit insoweit verfehlt, weil der Begriff
Zwangsarbeit schlechterdings mit der Zwangsarbeit der Zwangsarbeiter im Natio- nalsozialismus belegt ist. Das wiederum ist dann auch gegenüber diesen Opfern nicht angemessen.
Sie sehen also: Es sind doch hoch komplexe Vorgänge, mit denen wir uns be- schäftige
Es ist wichtig, dass der Runde Tisch feststellt, dass auch unter Anerkennung und
Berücksichtigung der damals herrschenden Erziehungs- und Wertevorstellungen in den Einrichtungen der kommunalen Erziehungshilfe, der Fürsorgeerziehung und
der freiwilligen Erziehungshilfe jungen Menschen Leid und Unrecht widerfahren ist. Nach den vorliegenden Erkenntnissen muss bezweifelt werden, dass diese
Missstände ausschließlich auf einzelne mit der pädagogischen Arbeit beauftragte Personen zurückzuführen sind. Vielmehr erhärtet sich der Eindruck, dass das
"System Heimerziehung" große Mängel sowohl in fachlicher als auch in aufsichts- rechtlicher Hinsicht aufwies. Daraus leitet sich jedoch nicht ein systematischer Verstoß gegen Erziehungsprin-
zipien ab, sehr wohl aber die Frage nach einer Verantwortungskette ausgehend vom örtlichen Jugendamt über das Landesjugendamt als Heimträger, ab 1961 als
Fachaufsicht und Heimaufsicht sowie als Finanzierungsträger. Auch die freien Träger sind hier einzubeziehen, denn sie waren zum damaligen Zeitpunkt über- wiegend Träger der Heime.
Der Runde Tisch hat sich auch der Frage der Verjährung eventueller straf- und zi- vilrechtlicher Ansprüche sowie der Möglichkeit von Rentenansprüchen und Opfer-
entschädigungsansprüchen angenommen. Dazu gibt es inzwischen eindeutige Stellungnahmen, die im Kern darauf hinauslaufen, dass keine der derzeit gelten-
den Rechtsgrundlagen für Entschädigungen herangezogen werden kann. Im Ren- tenrecht wird noch weiter zu prüfen sein, ob es Sonderregelungen geben kann.
Hier wird es auch darauf ankommen, ob objektiv Verstöße gegen die Rentenversi- cherungspflicht vorliegen. Erste Hinweise ergeben sich hier für die Landesregie-
rung im Übrigen aus den Zwischenergebnissen der Studien der beiden Landesju- gendämter. - Hinsichtlich des Strafrechts wird man von einer Verjährung der Straf- taten ausgehen müssen.
Die Analyse des Runden Tisches, die ich Ihnen vorgetragen habe, zeigt, wie sorg- fältig, intensiv und differenziert eine Auseinandersetzung mit der Heimerziehung in
den 50-er und 60-er Jahren zu erfolgen hat. Sie ist daher auch für die Landesre- gierung eine wichtige Grundlage bei der Suche nach Lösungen.
Zur Situation in Nordrhein-Westfalen lässt sich feststellen:
Bereits in den 50-er Jahren hat das zuständige Sozialministerium durch eindeutige Erlasse klar gestellt, dass körperliche Züchtigung in den Heimen zu untersagen
ist. Sollte von dieser Weisung abgewichen werden, durfte eine Züchtigung nur vom Heimleiter oder der Heimleiterin selbst vorgenommen werden, und hierzu
musste ein Strafbuch angelegt werden. Auszüge aus den Strafbüchern zeigen uns, dass die Anlässe für körperliche Züchtigung häufig aus der heutigen Sicht be-
trachtet gering waren, aber - wie auch der Runde Tisch feststellt - aus der damali- gen Sicht dem Grundsatz repressiver Erziehung entsprachen. Ob die Strafberichte
geschönt waren, lässt sich leider nicht mehr nachweisen. Der Einweisungsgrund in ein Heim, der in der Regel vom Jugendamt entschieden
und vom zuständigen Vormundschaftsrichter angeordnet wurde, stellt sich auf den ersten Blick nach Auffassung der Wissenschaftler zwar als fachlich vertretbar dar -
jedenfalls wenn man die Aktenlage berücksichtig; hier wird allerdings auf den zweiten Blick geachtet werden müssen, um einen Zusammenhang im Sinne einer
Verantwortungskette, die ich eben schon genannt habe - Jugendamt, Landesju- gendamt, Heimträger usw. - herstellen zu können. Die 1961 eingeführte Heimauf-
sicht hat offensichtlich eher routinehaft funktioniert, nicht aber nach qualitativen Gesichtspunkten differenzierte systematische Prüfungen durchgeführt.
Bei den beiden Landesjugendämtern haben sich inzwischen wohl mehr als 500 Betroffene gemeldet, die zunächst Einsicht in ihre Akten haben möchten und eine
Aufarbeitung und Anerkennung ihres Leidens anstreben. Natürlich spielt bei eini- gen auch die Frage einer individuellen Entschädigung eine Rolle. Dies entspricht
auch den Informationen der katholischen Kirche und des Runden Tisches, die ebenfalls beide Hotlines eingerichtet haben. Insgesamt haben sich derzeit rund 1.500 - vielleicht etwas mehr - Betroffene ge-
meldet. Doppelzählungen sind bislang nicht herausgenommen worden. Vermutlich wird man aktuell von etwa 1.000 Betroffenen ausgehen dürfen.
Ein Großteil der Akten ist in den Landesjugendämtern noch erhalten. Sie werden den Betroffenen zugänglich gemacht. Außerdem ist auch möglich, dass sich die
Betroffenen bei der Durchsicht der Akten begleiten lassen, das also nicht alleine machen müssen, sondern jemand mit ihnen in die Akten geht. Das ist auch, so
denke ich, aus psychologischen Gründen ein durchaus sehr sinnvolles Angebot. Festzustellen ist zudem, dass es zwischen Betroffenen und Trägern der Einrich-
tungen sowie den Heimen inzwischen zu Kontakten gekommen ist. Hier haben die Heime entsprechende Möglichkeiten geschaffen - so z. B. das Diakonische Werk
wie auch Träger aus dem Bereich der katholischen Kirche. Auch im kommunalen Raum werden solche Aufarbeitungsstrategien aufgegriffen.
So hat zum Beispiel das Kreisjugendamt Warendorf in einer öffentlichen Veran- staltung in den letzten Tagen Betroffene zu Wort kommen lassen.
Aus unserer Sicht ergeben sich zunächst einmal folgende Konsequenzen: Wir werden die Beratungen am Runden Tisch weiterverfolgen. Wir werden die Lö-
sungsvorschläge, die dort erarbeitet werden, analysieren und weiterhin sehr eng begleiten. Herr Schäfer geht als leitender Mitarbeiter unseres Hauses dorthin und engagiert
sich darüber hinaus in enger Kooperation mit den beiden Landesjugendämtern in der Begleitung der wissenschaftlichen Studie, die dort läuft, damit wir aus eigener
Anschauung die Arbeit des Runden Tisches begleiten können. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit den Bundesländern entwickeln wir Lösungs-
strategien, die auch für Nordrhein-Westfalen Gültigkeit haben sollen und Möglich- keiten der Hilfe anzeigen. Angesichts des Beratungsstandes des Runden Tisches und der noch nicht gänz-
lich geleisteten Aufarbeitung der Problematik halten wir es für unbedingt erforder- lich, die Beratungen jetzt nicht auf die Ebene des Parlaments zu heben. Das wür-
de das Parlament unter einen ganz großen Erwartungsdruck durch die Betroffe- nen selber stellen. Das zeigt sich in den Ländern, in denen das gemacht wurde, so in Niedersachsen und Hessen.
Angesichts der derzeit laufenden Gesamtdiskussion - auch hinsichtlich der sexuel- len Missbrauchsfälle - bedarf es aus unserer Sicht weiterer Aufklärung der Sach-
verhalte und sorgfältiger Prüfung bezüglich möglicher Lösungsvorschläge. Sobald uns die Analysen der beiden Landesjugendämter vorliegen, wird es sinn-
voll und ratsam sein, im Rahmen einer größeren Gesprächsrunde mit Betroffenen über diese Ergebnisse zu beraten und sie mit den Aussagen der Betroffenen zu vergleichen und in Übereinstimmung zu bringen.
Wir sind gerne bereit, zu gegebener Zeit - wenn wir wieder etwas mehr wissen - dem Ausschuss erneut zu berichten.
Wolfgang Jörg (SPD) erachtet es als wichtig, Erziehungsmethoden in den Heimen
während der in Rede stehenden Zeit nicht alleine darauf zu reduzieren, dass die El- tern von Erziehungsvorstellungen noch aus der Zeit des Nationalsozialismus geprägt
gewesen seien. Die strukturelle Gewalt habe eine darüber hinausgehende Qualität und verdiene eine besondere Aufarbeitung. Die Schäden, die die Kinder mit auf ihren
Lebensweg genommen hätten, seien unermesslich. Die Strategie der Aufarbeitung, die die Staatssekretärin vorgestellt habe, halte er für richtig. Wegen der nicht immer
unproblematischen Offenlegung werde diese Aufarbeitung wohl noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Eine Reduktion allein auf die 50-er und 60-er Jahre griffe aller-
dings zu kurz. Er wisse aus Berichten, dass die beklagten Methoden auch noch in den 70-er Jahren angewandt worden seien. Mit ihrer Initiative, das Thema auf die Tagesordnung zu bringen, habe sich die Abge-
ordnete Annegret Krauskopf bis zum letzten Tag ihrer parlamentarisch-politischen Laufbahn um Kinder - vor allem benachteiligte Kinder - gekümmert. (Allgemeiner Beifall)
Marie-Theres Kastner (CDU)
bedankt sich sowohl für den schriftlichen Bericht als auch die mündliche Berichterstattung. Abgründe täten sich auf. Es werde noch lange
dauern, bis das Thema aufgearbeitet sei. Eine Erledigung nicht im politischen Ta- gesgeschäft halte sie für wichtig. Größtmögliche Gemeinsamkeit sei gefragt. Deutlich
müssten auch Zusammenhänge in den Blick genommen werden, die vergleichbare Entwicklungen heute noch begünstigten.
Vielleicht hätten Heimkinder im Zuge der bundesweiten Missbrauchsdiskussion end-
lich auch eine Chance, gehört zu werden, hofft Annegret Krauskopf (SPD). Bisher seien deren Signale politisch nicht aufgenommen worden. Sie selber habe aufgrund
einer Praktikantinnentätigkeit in einem Heim in den 50-er Jahren eine besondere Af- finität zum Thema entwickelt. Manche Dinge könnten jetzt tiefgreifender erörtert wer-
den. Die betroffenen Menschen wollten ihre Würde wiederhaben. An bestehende Gesetze, die Missbrauch untersagten, hätten sich viele oftmals nicht gehalten.
Bei der Gelegenheit dürfe auch nicht außer acht gelassen werden, dass behinderte Heimkinder überhaupt nicht am Runden Tisch vertreten seien. Sie appelliere an die
Anwesenden, nicht bis zu einer Entscheidung zu warten, die jetzt nach hinten ge- schoben werde. Für die wenigen Menschen, um die es gehe, sei eine schnelle Ent-
scheidung zu finden, statt einen Runden Tisch nach dem anderen zu veranstalten. Den Menschen solle nicht durch eine bloße Entschuldigung, sondern durch Taten ih- re Würde zurückgegeben werden.
Staatssekretärin Dr. Marion Gierden-Jülich (MGFFI) stellt zunächst klar, der Blick auf die 50-er und 60-er Jahre sei bildlich gemeint und hänge damit zusammen, dass
diese Zielgruppe im Vordergrund der Petition aus diesem Kreis gestanden habe. Der Runde Tisch werde am Ende seines auf zwei Jahre angelegten Mandats einen
Vorschlag unterbreiten. Die durch den Beitrag der Abgeordneten Krauskopf zum Ausdruck gebrachte emotionale Betroffenheit könne sie, Gierden-Jülich, nachvollzie-
hen. Zu beachten sei der bisher einmalige Vorgang, dass der Petitionsausschuss des Bundestags einen solchen Runden Tisch unter Beteiligung Betroffener, Wissen-
schaftler und weiteren Beteiligten eingerichtet habe, um das Problem systematisch aufzuarbeiten. Die Vorsitzende Antje Vollmer sei Garantin dafür, dass mit hohem Engagement an der
notwendigen Aufklärung gearbeitet werde. Auch die Behinderten seien - wenngleich nicht direkt durch Personen vertreten - im Blick des Runden Tisches. Angesichts ak-
tueller Vorfälle werde das Haus eine qualitative Analyse zum Thema "Heimaufsicht" vornehmen, um für die Zukunft eine qualitative Weiterentwicklung zu erreichen.
Norbert Killewald (SPD)
bittet um weitere Auskünfte zur Aktenlage der von der Staatssekretärin erwähnten 1.000 Fälle. Der staatliche Anteil der Aufklärungsarbeit
müsse deutlich und schnell abgearbeitet werden. Es müsse möglich sein, die Akten eines Trägers über einen Zeitraum von 10/20 Jahren aufzuarbeiten. Er werbe für
mehr Aktivität. Es könnte ansonsten für die Träger, die heute tätig seien, zu einem Glaubwürdigkeitsproblem kommen. Wie solle einem drohenden Vertrauensverlust vorgebeugt werden?
Andrea Asch (GRÜNE) dankt der Abgeordneten Krauskopf dafür, das Thema auch angesichts der jetzt publik gewordenen Missbrauchsfälle in Einrichtungen und Inter-
naten auf die Tagesordnung gebracht zu haben. Bekannt sei, dass es neben Gewalt, Zwangsfütterung und Arbeitszwang massivsten sexuellen Missbrauch gegeben ha-
be, der mit anderen Gewaltformen gekoppelt gewesen sei. Der Landschaftsverband Rheinland habe sich dieses Themas sehr intensiv angenommen und eine Untersu-
chung zur Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels in Auftrag gegeben. Die Landschaftsverbände seien sowohl als Heimaufsicht wie auch Träger eigener
Einrichtungen betroffen. Sie hoffe darauf, dass gegenüber den Opfern eine Ent- schuldigung ausgesprochen werde.
(Staatssekretärin Dr. Marion Gierden-Jülich [MGFFI]: Ich habe eben schon gesagt, dass die beiden Landschaftsverbände das untersuchen!)
[Asch weiter] Die Kontinuität der schwarzen Pädagogik der 50-er/60-er Jahre fuße auf einer Kontinuität der nationalsozialistischen Pädagogik - auch in personeller Hinsicht. Viele
ehemalige Soldaten seien ohne pädagogische Ausbildung als "Erzieher" übernommen worden. Erkenntnisse habe es schon damals und nicht erst jetzt
gegeben. Es sei höchste Zeit zu reagieren. Die aktive Mitarbeit der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen am Runden Tisch auf Bundesebene, so die Abgeordnete
an Staatssekretärin Dr. Marion Gierden-Jülich und Regierungsbeschäftigten Schäfer gewandt, heiße sie gut. Es stünde allerdings Nordrhein-Westfalen als oberster
Landesjugendbehörde gut an, die Aktivitäten der Landschaftsverbände zum Anlass zu nehmen und sich dazu auch öffentlich zu verhalten, eine Initiative zu starten, die
zeige, dass die Opfer gehört würden und ein Stück ihre Würde zurückbekämen. Die Betroffenen müssten sich mit ihrem Leid ernst genommen fühlen.
Staatssekretärin Dr. Marion Gierden-Jülich (MGFFI)
erinnert daran, dass Profes- sor Klaus Schäfer als Vertreter der Kinder- und Jugendministerkonferenz aller Län- der am Runden Tisch auf Bundesebene teilnehme. Damit vertrete Nordrhein-
Westfalen das Anliegen offensiv. Das Phänomen sei bundesweiter Natur und werde in engster Abstimmung mit den beiden Landesjugendämtern angegangen. Beide Landesjugendämter arbeiteten vor-
bildlich. Als Hintergrundinformation: Die Betroffenen verdrängten ihre Qualen oft ein Leben lang. Häufig kämen sie erst im Alter zur Artikulation ihres Leides. Von daher
sei es nicht ungewöhnlich, dass sich die Opfer erst in höherem Alter zu Wort melde- ten. Auch das sei ein Grund dafür, dass die öffentliche Verantwortung - Heimaufsicht
und Landesjugendämter - erst sehr spät mit der Fragestellung konfrontiert worden sei. Aber dann sei sofort die Vernichtung von Akten gestoppt worden. Beide Land-
schaftsverbände hätten den Opfern Zugang zu Akten gewährt. Mittlerweile gelte das auch für die Einrichtungen selber. Das MGFFI stehe für Betroffene, die das Gespräch suchten, jederzeit offen. Sie be-
richte darüber hinaus im Petitionsausschuss im Übrigen regelmäßig über den Fort- gang der Arbeiten. Die Befassung mit der Vergangenheit biete auch Anlass, sich mit
der Heimaufsicht heute in qualitativer Hinsicht auseinanderzusetzen. In dieser Be- fassung liege ein Schlüssel zur Prävention für zukünftige Fälle.
Regierungsbeschäftigter Prof. Klaus Schäfer (MGFFI) ergänzt: Gespräche mit Kirchen und Kommunen würden geführt. Es gehe um die Beantwortung der komple-
xen Frage, wie Ansprüche - nicht im Sinne von Rechtsansprüchen wohl bemerkt - abgeleitet werden könnten. Vor etwa drei Wochen habe er sich die Zwischenergeb-
nisse der wissenschaftlichen Untersuchung der beiden Landesjugendämter zeigen lassen. Beide Landschaftsverbände legten Wert auf eine zügige Aufarbeitung. Das
MGFFI habe somit ein klares Bekenntnis zu seiner Verantwortung und zur Koordina- tion der Länder abgegeben. In den 11 anderen alten Bundesländern habe man es
mit zum Teil völlig anderen Ausgangslagen zu tun. Im Saarland und in Bayern etwa habe es jeweils nur die Meldung eines Betroffenen gegeben.
1961 habe es die Heimreform gegeben. Er habe 1969 als Erzieher in einer Einrich- tung gearbeitet und wisse deshalb um die Zusammenhänge. Das Feld müsse zu-
nächst gründlich aufgearbeitet werden, bevor es zu einer abschließenden Antwort kommen könne. Ein vorläufiges Ergebnis bringe niemanden weiter. Noch vier Sit-
zungen stünden an. Der Zwischenbericht enthalte bereits Hinweise auf immaterielle Lösungen. Ein sehr differenzierter Katalog sei herausgearbeitet worden.
Vortrag Staatssekretärin als pdf-Datei hier klicken
Private
Stellungnahme (muss nicht mit der Meinung der FAG JHH 2006 übereinstimmen) von Helmut Jacob in seinem privaten Blog hier klicken
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