Dorothee Kuper mit einem Zeitungsartikel ĂŒber Misshandlungen im benachbarten Johanna-Helenen-Heim
Wetter/Gevelsberg. Ein halbes Jahrhundert und mehr ist es her - und doch hat Dorothee Kuper die drei Jahre in der damaligen orthopÀdischen Klinik in
Volmarstein buchstÀblich vor Augen.
âWenn ich malen könnte, wĂŒrde ich die ganze Geschichte ins Bild bringenâ, sagt sie. Eine Geschichte voller Erniedrigung, Bösartigkeit und erlittener
Pein. Vor dem geistigen Auge der Gevelsbergerin lĂ€uft sie immer wieder ab. Besonders, seit sie die Berichte ĂŒber die Misshandlungen im Johanna-Helenen-Heim gelesen hat. Heim wie Klinik gehörten zu der
Einrichtung, die heute den Namen Evangelische Stiftung Volmarstein (ESV) trÀgt.
Ihr Bruder, der in Wengern wohnt, hat ihr alle Berichte ĂŒber die schlimmen ZustĂ€nde in dem Kinderheim der unmittelbaren Nachkriegszeit geschickt. âAbbitte
fĂŒr die Hölle von Volmarsteinâ ist einer der ersten Artikel ĂŒberschrieben, erschienen im August vor vier Jahren. Seitdem hat sich viel getan. Die ESV hat die dunklen Jahre von zwei Historikern erforschen
lassen. Der Abschlussbericht liegt als Buch vor. Die Opfer von damals haben sich selbst organisiert und fĂŒhlen sich endlich ernst genommen mit ihren schrecklichen Erlebnissen. Und am Rande ist immer wieder mal auch
die damalige orthopÀdische Klinik mit ins Blickfeld gekommen.
Dreieinhalb Jahre hat Dorothee Kuper hier gelegen. 28 bis 30 Kinder in einem einzigen groĂen Saal, erinnert sie sich. Kein Kind konnte aufstehen. Sie selbst
war eingegipst bis ĂŒber den Rippenbogen und mit einem Spreizgips an den Beinen. Bei ihr war er eine Virusinfektion im Gelenk. Andere Kinder hatten SchĂ€den an der WirbelsĂ€ule.
Tief berĂŒhrt hat sie das Zeitungsbild von der Lehrerin, die vor eine Klasse mit Heimkindern steht. Weil es Verbindung hat zu dem, âwas man mit Kindern
gemacht hat, die ja doch behindert waren.â Nicht nur im Johanna-Helenen-Heim, das Dorothee Kuper nur vom Hörensagen kennt. Denn Teile ihrer eigenen Geschichte lesen sich so, als stammten sie aus den
Erfahrungsberichten, die einige Heimkinder von damals ins Internet gestellt haben.
Eine besondere Rolle spielen in der Klinik Handfeger aus Holz, bei der BĂŒrste genommen und als Stock gebraucht. âGanz besonders schlimm hatten es die
Kinder, die wenig oder gar keinen Besuch hattenâ, erinnert sich die Rentnerin. Sie selbst hatte GlĂŒck - Mutter und Vater kamen regelmĂ€Ăig aus Albringhausen zu Besuch. Und doch hat auch Dorothee Kuper den Besen
zu spĂŒren bekommen. Bei einer Visite des damaligen Oberarztes Katthagen fand sich ein Riss in ihrem Verband, fĂŒr den ihr keine ErklĂ€rung einfiel. âDa kam der gute Mann und schlug mir mit dem Holzstiel auf die
einzige gipsfreie Stelle am Bein.â
SchlÀge, Gekeife und immer wieder böse Blicke - all das ist bei Dorothee Kuper noch gegenwÀrtig. Und wenn sie im Wohnzimmer ihrer Parterrewohnung von
damals erzÀhlt, werden die Bettenreihen fast so greifbar wie Schrankwand und Polstermöbel. Wach sind die Bilder in ihr, vorhanden aber auch noch alle Namen. Von der bösen Stationsschwester, den mitleidenden
Kindern, aber auch von Ărzten und Pflegern, bei denen auch in schwerer Zeit die FĂŒrsorge oberstes Gebot blieb.
Vor ein paar Jahren war Dorothee Kuper noch einmal auf dem GelÀnde der heutigen Evangelischen Stiftung Volmarstein. Ihr Bruder wurde in der Klinik, die
lĂ€ngst in neuen RĂ€umen untergebracht ist, stationĂ€r behandelt. Ein kleiner Spaziergang fĂŒhrte in die eigene Geschichte zurĂŒck. âAls ich aus dem Aufzug ausgestiegen bin, dachte ich, mir hĂ€lt jemand den Hals
zu.â
Sie ist vor dieser Geschichte nie ausgewichen, hat Mann und Freunden immer von dieser schweren Zeit berichtet. Und doch war die Beklommenheit groĂ nach
diesem Ortsbesuch. Und heftig waren auch die GefĂŒhle beim Lesen der Zeitungsberichte bis hin zu denen, in denen sich Kinder von damals an die ZustĂ€nde speziell in der Klinik erinnern. âIch bedaure, dass jetzt
keiner mehr da ist, den man zur Rechenschaft ziehen kannâ, sagt die nun 70-JĂ€hrige, âund sei es nur im GesprĂ€châ.
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