Formen und Erfahrungen von Gewalt in Volmarstein:
Schlagen mit den Händen
vor allem gegen den Kopf, besonders gegen die Ohren.
Ich selbst habe relativ wenig davon abbekommen und auch nur am Anfang.
Aber bei vielen anderen Kindern meiner Zeit mußte ich Zeuge davon werden.
Einer meiner Freunde war besonders hart davon betroffen. Durch sehr häufige und sehr heftige Schläge wurde ein Trommelfell so stark beschädigt, daß ein
mehrmonatiger Krankenhausaufenthalt in der Klinik Wetter erforderlich wurde. Ein Trommelfell mußte später durch ein Transplantat erneuert werden. Schmerzen bis heute sind geblieben. Er ist bis heute so
traumatisiert, daß er noch nicht weder darüber sprechen noch schreiben kann.
Schläge mit einem Gehstock auf die Finger.
Davon waren auch sehr viele Kinder betroffen. Es waren nicht nur ein paar leichte Schläge, sondern sehr lang andauernde und heftige, aggressive Schläge,
besonders gerne auf die Fingerspitzen, die besonders schmerzempfindlich sind. Und es geschah nicht nur selten, sondern sehr, sehr häufig. Es war die beliebteste Erziehungsmethode einer stark behinderten Lehrerin.
Meine eigene Erfahrung damit werde ich nie vergessen. Es war im 1. Schuljahr. Es hat sehr lange gedauert, und es war sehr schmerzhaft. Der Anlaß war
völlig ungerechtfertigt. Allerdings hat sich diese besagte Lehrerin einige Jahre später dafür indirekt bei mir entschuldigt.
Schläge mit einem Gehstock auf den Kopf
Davon kenne ich zumindest einen Fall (meinen bereits genannten Freund, welcher noch nicht in der Lage ist, selber zu sprechen). Es waren sehr heftige und
äußerst brutale Schläge, wobei die Kopfhaut oft blutete und sich eine Eiterbeule bildete. Auch darauf wurde immer wieder geschlagen, und immer wieder blutete diese Stelle. Später mußte diese Stelle herausoperiert
werden.
Schlagen mit dem Kopf gegen Gegenstände
wie zum Beispiel gegen Heizkörper.
Auch hierbei handelte es sich nicht nur um leichtes Stoßen, sondern um heftiges Schlagen gegen diese Gegenstände. Es war sehr brutal in tatsächlichen
Wutanfällen.
Zwang, Erbrochenes wieder aufzuessen
Auch die in dem Buch beschriebene „gängige Methode, sie vor das Essen zu setzen und sie durch Schläge zu zwingen, das Erbrochene aufzuessen“, kann ich voll
und ganz aus eigener Anschauung bestätigen.
Dieses war eine besonders üble Methode von Gewaltausübung.
Ich werde nie vergessen, wie einer meiner Freunde auf den Boden befördert, mit mehreren Schwestern an Armen, Beinen und Oberkörper festgehalten (auch, weil er
sich natürlich dagegen wehrte) und dann das Erbrochene eingelöffelt wurde. Auch das dabei wieder Erbrochene wurde wieder zwangsweise eingeflößt.
Nahrung und Nahrungszubereitung
In den ersten Jahren war das Essen sehr häufig ungenießbar, insbesondere durch Speck-Stücke und durch Schweineschwarten mit zum Teil noch daran
haftenden Borsten.
Das Essen wurde meistens schon in die Teller serviert, wenn wir noch in der Schule waren. Wenn es dann manchmal später wurde als die übliche Schulschlußzeit,
war es schon erkaltet. Dann schwamm das erhärtete Fett in festen Schichten obenauf. Dieses Essen war dann wirklich ungenießbar und nur unter großen Schwierigkeiten herunterzuwürgen. Oft hatte ich mir dabei die Nase
zugehalten, um den Geschmack zu unterdrücken.
In den ersten Monaten war es mir überhaupt nicht möglich, diese Art von Nahrung immer problemlos zu essen. Praktisch jeden Tag mußte ich dabei
erbrechen. Deshalb habe ich während dieser Zeit an einem separaten Tisch sitzen müssen.
Ich wurde aber nicht gezwungen, das Erbrochene wieder aufzuessen.
Meine Eltern schickten mir deshalb Stärkungsmittel in Form von speziellen Säften („Rabenhorster Rotbäckchen“).
Diese Zeit endete für mich Ende Mai 1956, weil ich wegen meines ersten Knochenbruchs für einige Monate in die Anstaltsklinik kam. Dort war das Essen
wesentlich besser, und so konnte ich mich langsam wieder erholen.
Die Zusammensetzung und Abfolge der Gerichte war derart eintönig, daß man sie praktisch schon lange Zeit im voraus wußte.
Ergänzend sei hinzugefügt, daß das Essen in Blechtellern und Blechtassen serviert wurde. Anderes Geschirr gab es erst einige Jahre später.
Im übrigen war es bekannt, daß selbst Schwestern ihr Essen oft selber nicht essen konnten und es in den sogenannten „Schweineeimer“ schütteten, welcher sich
auf unserer Toilette befand. In diesen Eimer kamen normalerweise nur die Essensreste. Der Eimer war offen und verbreitete einen sehr unangenehmen Geruch. Er wurde nicht täglich geleert.
Ich will damit nicht unterstellen, daß durch diese Art von Nahrungs-Zubereitung bewußt Gewalt ausgeübt werden sollte. Die Auswirkungen haben aber Gewalt
dargestellt, es war eine besondere Form von Gewalt.
Eckenstehen
Eine sehr häufig angewandte Strafmethode war das „Eckenstehen“ nach
„Aufsässigkeiten“ wie Schreien nach Schlägen oder anderen „Auffälligkeiten“.
Es gab einige Kinder, die mehr Stunden mit Eckenstehen als mit der Teilnahme am Unterricht verbracht haben und deshalb natürlich auch wenig Chancen auf auch
nur ansatzweise einigermaßen geregelte schulische Ausbildung hatten.
Angewandt wurde diese Methode praktisch in allen Räumen, besonders im Klassenzimmer, Speiseraum und zwischen den Türen einer Schwester.
H. hat besonders viel im Klassenzimmer in der Ecke gestanden. Wegen seiner Behinderung konnte er nicht lange stehen und ist deshalb sehr oft in sich
zusammengesackt, d. h. die Knie sind einfach zusammen geklappt. Er mußte dann wieder mühsam aufstehen, und das gleiche wiederholte sich immer wieder, stundenlang.
Ich selbst habe es in den ersten 2 Jahren einige Male erlebt. Nach einigen Stunden stehen fangen die Knie an zu schmerzen. Und es war sehr demütigend.
Isolierung
Eine andere, häufig angewandte Methode war die Isolierung in einem anderen Raum. Dieser Raum war ein Teil des Flures im Schlafbereich, welcher durch einen
Vorhang abgetrennt war. Viele von uns waren davon betroffen, manchmal einige Stunden, manchmal einige Nächte. Ich habe es einige Male erlebt, einmal sogar mit Bett (wegen Knochenbruch) für etliche Tage.
An den Haaren ziehen
Einige Kinder (besonders Mädchen) waren besonders häufiges Opfer dieser Methode.
Esmuß sehr schmerzhaft gewesen sein.
Demütigungen
waren an der Tagesordnung.
Von der besagten Lehrerin wurde ich einmal gegenüber einem anderen erwachsenen Mitbewohner beschrieben als „Das ist ein schlechter Mensch“.
Das als Ergänzung zum „pädagogischen Konzept“.
Die handelnden Personen
Bei den beiden inzwischen entlassenen Personen (Leserbrief von Ernst Springer UK 15/06) handelt es sich zwar um die schlimmsten, aber keinesfalls um die
einzigen und auf gar keinen Fall um „Resterscheinungen“ einer vergangenen Zeit.
|