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An die FAG JHH 2006
Liebe Mitgruppler! Es fällt mir nicht leicht, diesen Brief zu schreiben; denn es muß ein Abschiedsbrief werden. Schon vor einem halben Jahr
schrieb ich an unsere Dreier-Crew:
Ulrich
Bach
Kierspe-Rönsahl, am 1.6.07
Lieber Helmut, lieber Klaus, lieber Wolfgang!
Dieses wird eine Art Abschiedsbrief. Ihr wißt. daß es mir seit Monaten nicht gut geht; und auch, daß ich meine Aktivitäten, was unsere
Gruppe angeht, schon zurückgeschraubt habe. Nun wird mir immer klarer: Das reicht noch nicht. Darum muß ich aussteigen, mindestens auf Zeit. Und wenn es mir in ein paar Monaten nicht besser geht, werde
ich Euch darum bitten müssen, meinen Namen auch aus unserem Briefbogen zu streichen.
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http://ulrich-bach.de/
lesenswert: Ohne die Schwächsten ist die Kirche nicht ganz. Bausteine einer Theologie nach Hadamar, Neukirchen 2006
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http://
de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Bach
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Auszug aus dem Abschiedsschreiben von Ulrich Bach:
Ich halte es nach wie vor für außerordentlich wichtig, daß unsere Gruppe vor knapp
zwei Jahren entstanden ist und so hartnäckig beim Thema bleibt. Hier darf ein besonderer Dank an Helmut nie vergessen werden, der mit seinem ersten Leser-Brief in "UK" seinen sehr nachhaltigen Start-Schuß
plazierte. Wir sind heute noch nicht am Ziel, haben aber Wesentliches erreicht. Ich möchte mich bei Euch für Euren Einsatz und auch für Euer Vertrauen zu mir persönlich herzlich bedanken.
Meine Bitte: Daß Ihr der jetzigen Stiftungsleitung weiterhin mit Vertrauen
begegnet. In dem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß vor ein paar Monaten Herr Dittrich mich besucht hat. Wir hatten ein ausführliches, offenes und sehr gutes Gespräch ...
Zum Schluß: Daß ich oben meine Tel.-Nr. aufführte, ist kein Versehen. Ich möchte
schon, daß eine lockere Verbindung zu Euch bestehen bleibt.
Mit Dank, mit Anerkennung und mit vielen guten Wünschen grüße ich Euch von Herzen.
Euer Ulrich. 13. Januar 2008
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Auszug aus einer email des Gruppensprechers anläßlich der Ankündigung des Rückzuges von Ulrich Bach:
Ulrich, dass Du Dich aus gesundheitlichen Gründen zunächst aus dem Verkehr ziehen
musst, tut weh. Ich und wahrscheinlich alle anderen unserer Gruppe, können Deine Entscheidung nachvollziehen. Du wirst uns fehlen und anders als die Meinung, dass jeder Mensch ersetzbar ist, ist schon heute
abzusehen, dass eine Lücke bleibt. Wir hatten angestrengte Gespräche, haben uns manches mal gestritten aber zum Schluss immer nicht nur einen Kompromiss gefunden, sondern auch gegenseitig voneinander gelernt. An
einer Stelle vor ein paar Wochen schriebst Du von einer Auseinandersetzung, an der unsere Freundschaft nicht zerbrochen sei. Dass ist ein Kompliment für Dich und ein Zeichen dafür, dass wir uns immer seit
Jahrzehnten gut verstanden haben. Egal worüber wir uns streiten, Dienst ist Dienst und privat ist privat.
Wenn ich mein Empfinden gegenüber Ulrich artikulieren soll, dann fällt mir
eigentlich schon seit Jahren eine Formulierung ein, die Altkanzler Helmut Schmidt zur Verabschiedung von Herbert Wehner gebraucht hat: „Ja, und Liebe, Liebe ist es auch“. Ulrich Bach war und ist mir immer nicht nur
Berater sonder auch Seelsorger. email an die FAG Juni 2007
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Lieber Ulrich,
ich danke Dir für Deinen Abschiedsbrief. Ich lese, dass es Dir nicht mehr möglich ist, die AG zu unterstützen und Dich das
schmerzt. Danke für Dein Engagement durch eine lange Zeit. Danke für unsere bisherigen Begegnungen.
Ich denke an die schweren Gedanken, die Dich belasten, dass Du die Problematik der Betroffenen nicht
früher und schneller erkannt hast. Stelle Deiner Bedrückung den Mut und die Ausdauer des "Kopfes der AG" gegenüber und gibt den Fortgang des Geschehens in deren Hände. Du hast Großes erreicht und
angeschoben (s. Schreiben von Helmut vom 16.01.08). Dir verdankt die AG ihr Entstehen. Nun, da sie lernt zu laufen, zu argumentieren, zu kämpfen gönne Dir den Rückzug. Versuche zu entdecken, was Gott und das
Leben Dir und Deiner Familie an Schönem und Erfreulichem bereithält. Was früher geschehen ist macht mitfühlenden Menschen das Atmen schwer, engt die Luftzufuhr ein. Deshalb wünsche ich Dir, dass Du das Gewesene
neben Dich legen und erleichtert zu Dir zurückkehren kannst. "Alles hat seine Zeit", für wen zitiere ich das? Deine Zeit ist für Dich und Deine Familie kostbar.
In herzlicher Verbundenheit
Jochen
In die HP eingestellt mit freundlicher Genehmigung von Jochen Twer
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1977, zwei Wochen vor Ostern
Manchmal schrecke ich auf in der Nacht, und ich denke an Station vier.
Dann liege ich in unserem Schlafzimmer. Klar, wo denn sonst? Natürlich gehört zu unserer Wohnung auch eine Küche, ein Wohnzimmer, eine
Mansarde für die Gäste. Und die Kinder haben jeder ein Zimmer für sich. Wir können’s uns leisten; ich verdiene nicht schlecht. Und zu üppig ist das ja auch wieder nicht.
Manchmal schrecke ich auf in der Nacht, und ich denke an Station vier.
Dort leben Frauen, die so schwer behindert sind, daß sie keinen Beruf erlernen konnten. Sie verdienen nichts. Sie kosten einiges. Die
öffentliche Hand zahlt, damit sie nicht umkommen. Sie wohnen zu dritt auf einem Zimmer oder zu fünft. Ein Zimmer für fünf, und das seit zwanzig Jahren oder auch seit achtunddreißig. Und dieses Zimmer ist
zugleich Schlafzimmer und Wohnraum, Eßzimmer und Besuchsraum, für manche auch Klo. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dort ist noch niemand erfroren, noch niemand verhungert. Ein Hoch auf den
Sozialstaat!
Manchmal schrecke ich auf in der Nacht, und ich denke an Station vier.
Die Frage ist doch: Muß das so sein? Mit welchem Recht rechnen wir so: Einer verdient und kann es sich leisten: fünf Zimmer für vier. Ein
anderer verdient nichts und verdient damit das: ein Zimmer für fünf, zwei Schränke für drei? - „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“, sagt unser Grundgesetz. Allenfalls zulässig,
verstehen Sie, also nicht unbedingt nötig; nicht einmal dann, wenn das Wohl der Allgemeinheit es erforderte. Nur ruhig denn: Es wird dabei bleiben: wir behalten unsere Wohnungen, Sie und ich; und die
Damen auf Station vier wollen uns - bitte schön - nicht böse sein, nein.
Manchmal schrecke ich auf in der Nacht, und ich denke an Station vier.
Ich frage dann weiter: Müßten die Kirchen nicht laut protestieren? Sie halten doch einiges von dem, der die Verstoßenen Gottes Kinder
nannte. Ist es nicht an der Zeit, sie wenigstens leben zu lassen, wie wir unsere eigenen Kinder leben ließen? Wo bleibt da die Kirche? Wo bleibt ihr Protest? - Und dann fällt es mir ein: Sie hat ja
protestiert. Es stand in der Zeitung, zwei Wochen vor Ostern: In Bonn kam man zusammen zu einer Protestkundgebung. Angesichts neuer Gesetzesentwürfe fürchtete man um den Bestand der kirchlichen
Einrichtungen. Wer könnte da schweigen! Der Staat muß dafür sorgen, daß auch in Zukunft die Kirche Einfluß behält im Bereich der Krankenversorgung. So sagte der Bischof. Und er fügte hinzu: Die Kirchen
stehen zum Kampfe bereit.
Manchmal schrecke ich auf in der Nacht, und ich denke an Station vier.
Ich stelle mir vor: Das Ende der Welt. Unser Heiland kommt wieder und fragt uns, was wir denn getan haben für seine Geschwister, und auch,
was wir ihnen nicht getan haben. Ich höre uns antworten: Herr, wir haben dafür gekämpft, daß Station vier in kirchlicher Trägerschaft blieb. Vielleicht wird er dann fragen: Bekam also dort jeder ein
Zimmer für sich? Und wir können nur antworten: 0 nein, Herr, das nicht; aber wir kämpften, und das mit Erfolg, wir kämpften um den kirchlichen Einfluß, das schien uns das Wichtigste. - Was eigentlich
werden wir sagen, sollte er fragen: Und meine Schwestern in eurem Hause, war das auch für sie das Wichtigste?
Manchmal schrecke ich auf in der Nacht, und ich denke an Station vier.
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Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung des Verlages und des
Autors entnommen aus: Ulrich Bach, Volmarsteiner Rasiertexte. Notizen eines Rollstuhlfahrers, Schriftenmissionsverlag Gladbeck, jetzt Neukirchen, 1979, 2. Auflage 1981, Seite 32 - 34.
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Ulrich Bach hat uns verlassen
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Am Sonntag, den 08. März 2009 nahm Gott der Herr
Ulrich Bach
in den späten Abendstunden zu sich.
Seine letzten Aktivitäten galten der Freien
Arbeitsgruppe JHH 2006. Zwei Tage vor seinem Tod korrigierte er einen Brief an eine Puppe. Darin bringt er zum Ausdruck, wie sehr er sich freut, dass die besagte Puppe „Mimerle“ und Marianne
zusammengefunden haben. Dieser Brief ist auf der Seite „Erinnerungen MB“ zu finden.
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Im März 2006 hat Ulrich den Anstoß gegeben, ein dunkles
Kapitel Anstaltsgeschichte aufzuarbeiten. Er hat uns ermutigt, uns mit schwersten Jahren der Kindheit in einem Kinderheim auseinanderzusetzen. Ulrich war Mitbegründer der Freien Arbeitsgruppe JHH 2006
und hat ihr auch diesen Namen gegeben.
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Wir verlieren einen guten Freund, einen wichtigen Berater,
einen kritischen Mahner!
Helmut Jacob Sprecher der Arbeitsgruppe
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Persönliche Abschiedsworte
Der Brief an Mimerle ist wie ein kleiner Abschied
gewesen. Ich finde, er hat sehr viel Aussagekraft. Ich kann es immer noch nicht fassen, daß er nicht mehr da sein soll. Mir wird ein lieber Mensch fehlen, zu dem ich nach und nach ein großes Vertrauen
aufgebaut habe. Auch Ulrich hatte großes Vertrauen zu mir, indem er mir seine persönlichen Briefe und Berichte diktierte, die ich dann für ihn schreiben durfte. Zu Anfangs war ich sehr erstaunt, als
er mich darum bat, für ihn etwas zu schreiben. Ich selber hätte es mir nie zugetraut. Er machte mir immer wieder Mut. Ich denke, bei der Gelegenheit habe ich noch einiges von ihm gelernt. Ich bin
froh, daß wir uns in den letzten 3 Jahren näher kennen gelernt haben und er mir seine Freundschaft angeboten hat. Ich weiß, daß meine Kindheitsgeschichte ihm ganz besonders am Herzen gelegen hat.
Marianne
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Bischof Dr. Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
Statement
Pressekonferenz Woche für das Leben
Berlin, 30. März 2009
„Jeder Mensch gilt“ – das war das Lebensmotto von Pfarrer Dr. Ulrich Bach. Vor drei Wochen, am 8. März, verstarb der scharfsichtige Analytiker des tiefen
Risses, der oftmals Menschen mit Behinderungen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausschließt, der Liebhaber der „bunten Gemeinde Gottes“, der Bibelinterpret, der die biblischen Texten gleichermaßen für
Behinderte und Nichtbehinderte las. Der 1931 geborene Ulrich Bach hat zu dem Thema, das uns in diesem Jahr beschäftigen soll, Ungewöhnliches beigetragen. Das findet auch in dem Themenheft für die diesjährige Woche
für das Leben seinen Niederschlag. Wenn man diese Texte liest, spürt man etwas von der überschießenden Hoffnung, die den christlichen Glauben prägt.
Ulrich Bach, der an den Folgen einer schweren Polio-Erkrankung litt und dadurch zeitlebens an den Rollstuhl gefesselt war, nahm ernst, dass jeder Gottesdienst
im Namen des dreieinigen Gottes beginnt. Die gottesdienstliche Wirklichkeit in einer diakonischen Einrichtung kommentierte er so: „Wir bilden zwar ein buntes Völkchen: Die einen müssen liegen, einige dürfen schon
sitzen, andere sind so nicht behindert, dass sie andere Leute schieben. Das alles ist so. Das macht Schmerzen. Nichts davon wollen wir vertuschen. Und dennoch: Obwohl hier Behinderte und Nichtbehinderte beisammen
sind – nicht als Behinderte und Nichtbehinderte sind wir beisammen, sondern als Gemeinde des dreieinigen Gottes. Fragt nicht in erster Linie, was ihr könnt oder nicht könnt. Hört, was Gott Euch sein lässt. ... Ihr
gehört zusammen als die bunte Gemeinde Gottes“.
Die beiden Artikel, die Ulrich Bach für das diesjährige Themenheft der „Woche für das Leben“ zur Verfügung gestellt, sind zu seinem Vermächtnis geworden;
deshalb liegt mir so viel daran, heute Ulrich Bachs Beiträge zu unserem Thema zu würdigen. An seinem theologischen Wirken beeindruckt mich besonders die Konsequenz, mit der er aus seinen Grenzerfahrungen heraus
unser Bild vom Menschen konsequent in das Licht des Evangeliums, also in das Licht der göttlichen Gnade gerückt hat. Einer der Titel, an denen das schlagartig erkennbar wird, lautet: „Boden unter den Füßen hat
keiner“.
Aber nicht nur das Menschenbild der Leistungsgesellschaft, sondern auch die gängigen Stereotypen des Gottesbildes gab Ulrich Bach zur Überprüfung frei. „Der
Gottessohn braucht Hilfe“, schreibt er. „Dieser Satz wurde für mich zu einem Schlüssel für viele biblische Zusammenhänge. Wenn dieser Satz stimmt, dann ist Stärke kein absoluter Wert.“ Aus dieser theologischen
Perspektive analysierte Ulrich Bach, wie es zu der Vernichtung von als „lebensunwert“ bezeichnetem Leben im Dritten Reich kommen konnte. Von dieser kritischen Analyse aus entwickelte er eine „Theologie nach
Hadamar“. Die Landesheilanstalt Hadamar in Hessen war 1941 eines der Zentren der Tötungsaktionen im Rahmen des fälschlich so genannten „Euthanasie“-Programms. Bachs „Theologie nach Hadamar“ folgt nicht dem
Grundsatz: „Kannst du was, dann bist du was“ – sondern: „Jeder Mensch gilt“.
Drei Wochen nach seinem Tod möchte ich Ulrich Bachs Lebenszeugnis in Erinnerung rufen. Für ihn, der lange als unbequemer Kritiker galt, war es eine Freude,
seine Texte in unserem Arbeitsheft abgedruckt zu wissen. Und nur allzu gern hätte er auch auf dem Eröffnungspodium mit diskutiert. Weil es dazu nicht mehr kam, lassen Sie mich hier und heute sagen: Wir verdanken ihm
viel.
„Gemeinsam mit Grenzen leben“: dieser Leitgedanke der Woche für das Leben 2009 hat in Diakonie und Caritas schon in der zurückliegenden Zeit wichtige
Veränderungen bewirkt. Wohngruppen und Lebensgemeinschaften wurden gebildet, in denen Behinderte nicht Objekte der Hilfe, sondern Subjekte ihres eigenen Lebens sein können. Aus einer Arbeit, die im Wesentlichen auf
Fürsorge und Pflege ausgerichtet war, ist ein Dienst geworden, der andere auf dem Weg zu einem selbständigen Leben begleitet. Schuldhafte, ja verbrecherische Verirrungen der Vergangenheit, die unerträgliche Rede von
„lebensunwertem Leben“, die Transporte behinderter Menschen in Vernichtungslager, die Vergötzung von Gesundheit und Leistung wurden und werden beim Namen genannt. Mahnmale und Gedenksteine wurden errichtet, die an
die Opfer erinnern und vor jeder Art der Wiederholung warnen. Voller Scham bekennen wir, dass auch im helfenden Handeln der Kirche dem politischen Druck und einer kruden Kostenmentalität, die selbst das Leben
berechnet, nicht immer der menschenmögliche, aber dann doch über die Kraft der Beteiligten hinausgehende Widerstand entgegengesetzt wurde.
Gerade deshalb müssen wir unser Bild von „Normalität“ verändern. Normal muss es sein, dass wir sagen: Jeder Mensch gilt.
Beim Christlichen Führungskräftekongress vor vier Wochen saß Rainer Schmidt, der bei den Paralympics als Tischtennisspieler Medaillen sammelte, auf einem
Podium zum Thema „Inspiration“. „Im Schuhezubinden bin ich behindert“, sagte er zu dem Moderator des Abends, „aber im Tischtennisspielen vermutlich du“. Selbstbewusst und offen mit den eigenen Grenzen umzugehen,
aber auch wahrzunehmen, welche Gaben jeder von uns hat – das ist der Schlüssel zu einem veränderten Leben.
Aber bei wem liegt dieser Schlüssel? „Die Frage, ob ich dazugehöre“, schreibt Ulrich Bach, „wird oft zuerst von der anderen Seite beantwortet. Wenn sich
(andere) ... freiwillig zu mir bekennen, indem sie sagen: wir gehören zu dir, dann ... bekomme ich die Möglichkeit, zu erleben: tatsächlich, ich gehöre zu Euch.“
Von diesem Zuspruch leben nicht nur behinderte Menschen, sondern auch viele andere, die sich aus der Gesellschaft ausgegliedert fühlen – aus gesundheitlichen
oder aus Altersgründen, aus sozialen oder aus finanziellen Gründen. Mangelnde Teilhabe gehört zu den großen Problemen unserer Gesellschaft; wir werden darauf zu achten haben, dass sich die Kluft im Zuge der jetzigen
Wirtschafts- und Finanzkrise nicht vertieft. Gerade in einer solchen Krisenzeit ist besonders darauf zu achten, dass bei künftigen Sparmaßnahmen nicht die Mobilität und ärztliche Versorgung behinderter Menschen
eingeschränkt wird, dass die Hilfen für Demenzkranke verbessert werden, Blinde auch weiterhin die nötige Unterstützung finden und sofort. Solche Fragen werden uns verstärkt beschäftigen, wenn wir im dreijährigen
Zyklus der „Woche für das Leben“ im nächsten Jahr die Entwicklung des Gesundheitssystems zum Schwerpunkt machen werden.
Zunächst aber gilt es, das „Du gehörst dazu“ für die verschiedensten Bereiche zu beherzigen und konkret werden zu lassen. Wichtige Schritte beginnen in
Kindergärten, Schulen und Kirchengemeinden. Zu ihnen gehören Gottesdienste und Gruppenangebote, die im wahrsten Sinne des Wortes „niedrig-schwellig“ sind. Vom Kern des christlichen Glaubens, nämlich vom Blick auf
den leidenden Christus aus, wollen wir zu einer Haltung beitragen, die sich von Einschränkungen nicht erschrecken lässt – wohl aber von Arroganz und Hochmut. Es ist Hochmut, wenn wir glauben, unser Leben nach den
eigenen Wünschen gestalten zu können.
Es ist Arroganz, wenn wir übersehen, welche Anstrengungen diese Ideologie denen abverlangt, die ihre Grenzen sehr früh erfahren haben. Wenn wir begreifen,
dass wir alle aus Gottes Gnade leben, dann verstehen wir auch, warum eine intellektuelle Leistung vor Gott nicht mehr zählt als das Lallen eines Kindes, eines Schwerstmehrfachbehinderten oder eines Sterbenden. Erst
in einer solchen Demut können wir uns für die Lebensmöglichkeiten öffnen, die auch bei Menschen mit Behinderungen über ihre Grenzen hinausweisen – wie Zuwendung, Fröhlichkeit, Freundschaft. Das kann auch die Angst
vor den eigenen Schwächen vertreiben, die uns so leicht hart und zur Teilnahme unfähig macht. Die Reifungschancen, die sich daraus ergeben, hat der Altersforscher Andreas Kruse sensibel, ja poetisch entfaltet.
Grenzsituationen, so betont er, führen uns in die Mitte unserer Existenz.
Ich wollte Sie spüren lassen, mit welchen Hoffnungen ich die Veranstaltungen der Woche für das Leben 2009 begleite. Es geht um Lebensräume, die Menschen bis
dahin nicht wahrnehmen konnten, um Gestaltungsspielräume dort, wo Menschen bisher nur Verluste sahen. Es ist zu wünschen, dass viele christliche Gemeinden neue Aufbrüche zum Zusammenleben und gemeinsamen Feiern
wagen; sie werden damit auch stark in unsere Gesellschaft hineinwirken. Ich hoffe darauf, dass die Woche für das Leben 2009 in dieser Richtung an vielen Orten wichtige Impulse geben wird. Ich freue mich darauf, dass
wir den Eröffnungsgottesdienst dieses Jahres in einer Lüneburger Kirche feiern, in der eine bunte Gemeinde Gottes zu Hause ist. Integrativer Konfirmandenunterricht und von Behinderten verantwortete Gottesdienste
sind Beispiele dafür. Ich hoffe auf viele solche Beispiele während der Woche für das Leben 2009.
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Brief Marianne an Ulrich Bach
Gevelsberg am 09.12.08
Lieber Ulrich! (Auszug)
Dann wurde ich 1989 von Dir zur Silbernen Konfirmation eingeladen. Ich habe all
meinen Mut zusammengenommen und die Einladung angenommen. Es waren doch einige von damals dabei. Nach langen Jahren traf ich Dich wieder. Nachmittags gab es Kaffee und Kuchen im Martineum. Die Runde war
klein und überschaubar. Plötzlich fingen einige um mich herum aus der Kindheit im JHH zu erzählen an. Roswitha schubste mich an und sagte: Erzähl du auch einmal etwas, du hast ja schließlich am meisten
unter diesen Schwestern gelitten. Ich sehe immer noch Dein erstauntes Gesicht vor mir, mit der Frage: Warum habe ich davon nichts gewußt? Wie die Geschichte weiter gegangen ist weißt Du ja. Bevor ich
nach Gevelsberg zog, war ich froh, daß ich zwei Nachmittage zu Dir kommen konnte, um Dir mit schonungsloser Offenheit alles von damals zu erzählen. Mir hat es leid getan, Dir diese harte Kost
vorzusetzen. Du warst der Erste der raufrichtig Anteilnahme zeigte. Ich sehe uns beide noch weinend da sitzen.
Mir hat es auch gut getan, daß Du bei Deiner Verabschiedung in den Ruhestand auf
meine Geschichte aufmerksam gemacht hast. Deine Entschuldigung war ehrlich gemeint. Du hast zugegeben, daß Du damals im Konfirmationsunterricht nicht richtig zugehört hast, als ich all meinen Mut
zusammennahm und erzählte, daß bei uns geprügelt wird. Das rechne ich Dir hoch an. Wer gibt schon gerne zu, daß er einen Fehler macht. Diesen Tag hättest Du viel freundlicher verbringen können. Danke,
daß Du den Mut hattest. ...
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