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Ulrich Bach, Brief an Vorstand, Kuratorium und Aufsichtsrat der ESV vom 31.8.2006
Vorbemerkung Bei der Aufarbeitung der
Schreckensjahre in den Volmarsteiner Kinderstationen plädiere ich für eine "versöhnende Aufarbeitung". Gemeint ist: Versöhnung wird nicht nur als Ziel ins Auge gefaßt; sie prägt als
Prozeß von Anfang an die Einstellung und das Tun der an der Aufarbeitung beteiligten Personen. Konkret: • Es muß von allen als normal und richtig anerkannt werden, wenn damals Geschundene heute
mit schärfsten, auch verletzenden Worten von dem berichten, was sie gelitten haben. Wer in solchen Situationen widerspricht und 'versöhnlichere' Worte einklagt (die in erstaunlichem Maße gelegentlich
auch schon jetzt anzutreffen sind), gefährdet oder verbaut so die Versöhnung als Prozeß und damit möglicherweise auch als erreichbares Ziel. Schon in meinem Leserbrief an UK vom 9.4.2006 sagte ich,
von den Einrichtungen sei jetzt ein hohes Maß an "Nehmer-Qualitäten" gefordert. • Von uns anderen (also von allen, die in ihrer Kindheit nicht ständig Angst vor dem Geprügelt-Werden
haben mußten) ist mehr zu verlangen, unter anderem: Disziplin in sprachlicher Hinsicht. Das bezieht sich einerseits auf die damals Geschundenen. Ich war in den letzten Jahren vielfach überrascht über
das Ausmaß der Aggressionen, das, aus dem Munde oder der Feder eines heute Verantwortlichen, einzelne Wörter auslösen können, wie: "gelegentliche" Quälereien, mancherlei
"Lieblosigkeiten", gewisse "Vorkommnisse". - Diese Disziplin bezieht sich aber auch auf Kontroversen, zu denen es unter den (ehemaligen) Mitarbeitern und heute Verantwortlichen kommt.
Aus einer solchen Kontroverse stammt der folgende Text.
Die "Freie Arbeitsgruppe JHH 2006", zu deren Gründungsmitgliedern ich gehöre, von der ich mich aus gesundheitlichen Gründen
aber inzwischen verabschieden mußte, bat mich um Freigabe dieses Textes für ihre Homepage. Als ich vor zwei Jahren diesen Brief schrieb, war die (gleich zur Sprache kommende) Kontroverse so verbissen,
daß auch manche Formulierung sehr scharf geriet; ich gebe zu, sie sollten damals den Adressaten auch attackieren. Und diese Schärfe muß ich mir heute verbieten. Ein heutiges "Nachtreten"
könnte eine "versöhnende Aufarbeitung" nur erschweren. Gleichzeitig muß ausgeschlossen bleiben, daß damit die fällige Kritik harmloser oder verschwommener wird. Unser damaliger
Gesprächspartner wird sich ohnehin über diesen Text vermutlich ärgern müssen wegen der deutlich benannten Fakten, die gewiß nicht zu seinen Ruhmestaten zu zählen sind, die aber nicht verschwiegen
werden dürfen, weil eine gründliche Aufarbeitung zwischen "erster" und "zweiter Schuld" (im Sinne Ralph Giordanos) unterscheiden muß; diese sich auf 2006 beziehenden Fakten mildere
ich nicht ab. Aber jene Formulierungen, die damals wichtig gewesen sein mögen und über die er sich heute zusätzlich, aber unnötig ärgern müßte, nahm ich heraus.
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Freie Arbeitsgruppe JHH 2006Für die Gruppe schrieb:
D. theol. Ulrich Bach, Pastor i.R.
Weidenstraße 21
58566 Kierspe-Rönsahl
T.: 02269 / 657
am 31.8.06
Herrn Pfarrer Ernst Springer - Vorstandssprecher der Evangelischen Stiftung Volmarstein - Hartmannstraße 24 58300 Wetter
Kopie: An den
Vorsitzenden des Aufsichtsrats und des Kuratoriums der ESV Herrn Dipl.-Phys. Hans-Dieter Oelkers Max-Planck-Str. 54 58093 Hagen
"Aufarbeitung" der Mißstände im JHH (ca. 1950-1965)
Sehr geehrter Herr Pfarrer Springer!
Sie haben eingeladen zu einem Treffen der Ehemaligen und der heute
Verantwortlichen zum 24. September - besten Dank. In Vorbereitung auf dieses Treffen reflektierte unsere Gruppe den bisherigen Weg der Aufarbeitung und stieß dabei auf erhebliche Defizite. Daß wir
Ihnen unsere Stellungnahme hier in Schriftform vorlegen, hat mit darin seinen Grund, daß zu dem von Ihnen festgesetzten Termin voraussichtlich nur zwei Mitglieder unserer Gruppe in Volmarstein sein
können.
Wir zitieren aus dem 'Leitbild ESV - Entschieden für das Leben' von 2001:
"Unser diakonisches Handeln ... sucht in der sozialen Konkretion die Emanzipation, Integration und
Partizipation der betroffenen Menschen. Wir begegnen ihnen als unseren Partnern ...: freundlich, respektvoll, zuvorkommend, nach ihren Wünschen fragend, ihnen zu ihrer Zufriedenheit dienend." ('100
Jahre ESV', Seite 380).
Auch die Aufarbeitung der von Ihnen wie von uns als großes Unrecht empfundenen Johanna-Helenen-Heim-Vergangenheit kann nur partizipatorisch gelingen, das heißt: in
Kooperation mit ehemaligen JHH-Bewohnern und ehemaligen Mitarbeitern. Da wir eine solche Gruppe sind (fünf ehemalige JHH-Internats-Schüler und zwei ehemalige Mitarbeiter), fordern wir:
1) Wir
müssen endlich in den Prozeß der Aufarbeitung partizipatorisch als gleichberechtigte, also mit entscheidende Partner einbezogen werden. Auf unsere Angebote einer Zusammenarbeit bekamen wir bisher kein
positives Echo (vgl. die Anlage, Punkt 2).
2) Die sogenannte "Entschuldigung", die Sie in Ihrem ausführlichen Schreiben vom 20.6.06 formulieren, ist ohne jede Rückfrage an uns zustande
gekommen und stellt, im Zusammenhang des Gesamttextes, eher eine erneute Kränkung dar, wodurch sie völlig inakzeptabel wird (vgl. Anlage, die Punkte 3 und 4).
3) Das Material, das unsere Gruppe
bisher zusammentrug, war gedacht als unser Beitrag zu einer gemeinsam mit der ESV zu erarbeitenden Veröffentlichung. Sollte eine partizipatorische Zusammenarbeit mit uns für die ESV weiterhin
unerwünscht bleiben, denken wir an eine eigene Veröffentlichung, in der wir gewiß auch erklären sollten, weshalb sie ohne die ESV erstellt werden mußte.
Wir bitten Sie um Ihre schriftliche Rückäußerung.
Mit freundlichem Gruß, im Auftrag der Gruppe,
Anlage
Freie Arbeitsgruppe JHH 2006 Für die Gruppe schrieb:
D. theol. Ulrich Bach, Pastor i.R.
Weidenstraße 21
58566 Kierspe-Rönsahl
Anlage zum Brief
"Freie Arbeitsgruppe JHH 2006" an Herrn Pfarrer Springer vom 31.8.06
Stellungnahme zum Schreiben des Vorstandssprechers
Pfarrer Springer vom 20.6.06 (dazu sein Anschreiben 26.6.06)
Vorbemerkung: Dieser Brief ist ein Gruppenbrief. Als ich, D.theol. Ulrich Bach (Pastor i.R.), meinen Brief, den ich mit Wissen
der Gruppe begann, fertig gestellt hatte, legte ich ihn den anderen Gruppen-Mitgliedern vor mit der Frage, ob ich ihn (a) als meinen persönlichen Brief schicken solle, oder ob (b) der einzelne sagen
könne: "Dieser Brief stimmt so sehr mit meiner Sicht, meinem Anliegen, meinen Erfahrungen und Zielen überein, daß ich es wichtig fände, wenn wir die Punkte "1" bis "5" als
einen Brief unserer Gruppe an das ESV-Kuratorium richteten". Ohne Ausnahme entschieden sich alle für "b".
Sehr geehrter Herr Pfarrer Springer!
1) Unsere Gruppe
begrüßt es ausdrücklich, daß die ESV endlich die menschenrechtsverletzenden Vorkommnisse auf den Kinderstationen und in der Schule des JHH in den Jahren ca 1950 bis 1965 thematisiert in der Absicht,
dieses Thema gründlich aufzuarbeiten.
2) Unsere Gruppe nimmt mit Befremden wahr, daß Sie seit Wochen, besonders deutlich durch Ihr ausführliches Schreiben vom 20.6.06 offensichtlich
ohne partnerschaftliche Kooperation mit uns auskommen möchten. Ihre Reaktionen auf Kooperationsangebote unsererseits zeigten: Als Zulieferer von Berichten, Namen und Jahreszahlen sind wir willkommen;
Entscheidungen aber über Ziele und Zeitrahmen der "Aufarbeitung" werden ohne uns getroffen. Bei dem anstehenden Thema jedoch geht es notwendigerweise um ein Gegenüber: gelitten habende
Individuen einer- / Leiden zugefügt habende Institution andererseits. In einem solchen Konflikt ist es grundsätzlich fast unmöglich, daß einseitig der Sprecher der Institution einen Bericht erstellt,
der beiden Seiten gerecht wird. (Frage in Klammern: Sollte nicht etwa die Evangelische Fachhochschule Bochum kontaktiert werden mit der Anfrage, ob uns möglicherweise mit der Vergabe einer oder mehrerer
Diplomarbeiten geholfen werden könnte?) In unserem konkreten Fall kommt noch hinzu, daß Sie, Herr Pfarrer Springer, mit Ihrem Leserbrief in "Unsere Kirche" (UK 16/06 vom 16.4.06) uns und
andere Leser dadurch empört haben, daß Sie die zuvor genannten grausamen Beispiele aus der schlimmen JHH-Zeit zu relativieren suchten; mit diesem Brief haben Sie u.E. selber den Nachweis geliefert,
daß Sie als objektiver, unabhängiger und fairer Sachwalter dieser sensiblen Thematik offensichtlich nicht in Frage kommen. Dagegen, daß Sie jetzt dennoch als solcher aufzutreten versuchen, kann unsere
Gruppe nur mit Nachdruck protestieren.
3) Vor allem richtet sich unser Protest aber gegen Ihr genanntes Schreiben vom 20.6.06. Dieser Text ist an zahlreichen Stellen ungenau, falsch, unsinnig
oder mehrdeutig (vgl. hierzu mehrere Schreiben aus unserer Gruppe, die Sie in diesen Tagen erreicht haben oder erreichen). Heute jedoch geht es uns nur um eine Sache, die wir allerdings nur als einen
Skandal bezeichnen können. Es geht um die im genannten Text untrennbare Verknüpfung von Worten der Entschuldigung
(S. 3: "... entschuldigen wir uns..."; hierzu vgl. sogleich den Punkt 4) mit einer höchst sonderbaren Darstellung eindeutiger Fakten. Die Rede muß sein von Ihrer Behauptung, sie seien erst jetzt (2006) auf diesen "Fleck" "gestoßen" (vgl. a.a.O., S. 2: "Wir sprechen diesen Opfern der damaligen Zeit unsere Anteilnahme aus. Wir trauern mit ihnen ... Wir bedauern, jetzt erst ... auf diesen ... Fleck ... gestoßen zu sein"). Tatsache ist aber (vgl. mein Buch "Ohne die Schwächsten ist die Kirche nicht ganz", S. 87-90; dazu die Presse: WR, Lokalteil Wetter und Herdecke vom 15.8.06), daß Sie im Mai 1996 (mag sein: nicht erstmalig) auf dieses wohl schwärzeste Kapitel der ESV-Geschichte "gestoßen" wurden. Sie haben also zehn Jahre lang versäumt, mit der Aufarbeitung zu beginnen, die Ihnen heute, nach dem Auftauchen des Themas in den Medien (vgl. Leserbrief von Helmut Jacob, UK 19.3.06), wichtig und eilig ist. Da Sie zudem wissen (vgl. Ihren Text, S. 3), daß es zur "Gerechtigkeit" diesen Menschen gegenüber gehört, "ihre Kindheitsgeschichte nicht (zu) verschweigen", sind Sie also - und zwar nach dem Maßstab, mit dem Sie Ihre Vorgänger messen - ein Jahrzehnt lang dieser Personengruppe gegenüber die Gerechtigkeit schuldig geblieben. Diese konkrete persönliche Schuld bei einer Entschuldigung nicht zu erwähnen, sondern sie verdecken zu wollen, läßt die von Ihnen ausgesprochene Entschuldigung zur Floskel verkommen, mit der die damals von anderen Geschundenen heute von uns zynisch verhöhnt werden - so wird Schuld nicht abgetragen, sondern im Gegenteil noch vermehrt: Früher nahm man diese Menschen nicht ernst, man konnte sie ungestraft drangsalieren. Heute werden sie offenbar noch immer nicht ernst genommen, man will sie mit Rhetorik abspeisen - aber das lassen diese inzwischen längst Erwachsenen sich nicht bieten; darum dieser Brief.
4) Wie eben angekündigt, folgt noch eine Kommentierung der Entschuldigung. Sie, Herr Pfarrer Springer, schreiben in Ihrem Text auf Seite 3: "Namens der Evangelischen Stiftung Volmarstein
entschuldigen wir uns, daß die Grausamkeiten damals nicht verhindert, unterbunden und geahndet wurden und bitten um Vergebung und Versöhnung." Diese Zeilen verdienen sorgfältige Aufmerksamkeit.
Ein erster Blick: Hier haben wir offenbar die klare und eindeutige Entschuldigung vor uns, auf die viele lange gewartet haben: Da wird nichts beschönigt - Grausamkeiten werden "Grausamkeiten" genannt. Und bei der Entschuldigung redet man nicht um den heißen Brei herum, sondern sagt mit klaren Worten; "entschuldigen wir uns... und bitten um Vergebung und Versöhnung".
Ein zweiter Blick sollte nicht nur die Klarheit der einzelnen Wörter beachten, sondern nach der Klarheit des Satzes fragen; und dabei wird man rasch stutzig. Denn von einer aufrichtigen und hinreichend eindeutig formulierten Entschuldigung darf man erwarten, daß der Text klar darüber Auskunft gibt, wer (Täter) an wem (Opfer) durch was (Tat) schuldig geworden ist. Desgleichen muß da, wo um Versöhnung gebeten wird, deutlich werden, wer (Opfer) gebeten wird, wem gegenüber (Täter) trotz welcher Vorkommnisse (Tat) 'das Kriegsbeil zu begraben'. Ist unter diesem Aspekt noch immer alles klar, oder kritischer: Ist überhaupt noch irgend etwas klar? Die Vernebelung schandbaren Unrechts gelang Ihnen großenteils schon durch das bekannte Stilmittel, peinliche Sätze, um ihre Inhalte erträglicher zu machen, nicht in aktivischer, sondern in passivischer Form zu gestalten: 'Der Anstalts-leiter hat nicht verhindert', wäre eine klare Aussage. 'Es wurde nicht verhindert', läßt Wichtiges offen: Ist überhaupt der Anstaltsleiter Ernst Kalle gemeint oder vielleicht der Vorstands-Vorsitzende Oscar Funcke oder gar die Schulaufsicht oder das Gesundheits- oder Jugendamt (oder wie die Instanzen damals hießen)? Wer im Text als Täter des Nicht-Unterbindens gemeint ist, bleibt völlig offen; und gleichzeitig: Die wirklichen Täter, nämlich nicht die Nicht-Verhinderer, sondern die Prügelnden, Mißhandelnden, Bildung Verhindernden usw., also die Täter der "Grausamkeiten", die Täter, deren Namen sich den Opfern fürs ganze Leben unauslöschbar eingeprägt haben, sie werden in dieser ESV-Entschuldigung mit keiner Silbe erwähnt. Und gerade sie sind es doch, die den damals Geschundenen noch heute schmerzhaft zusetzen, wenn etwa durch ein zufälliges Stichwort längst vergangene Szenen brutal wieder lebendig werden. Der zweite Blick sieht mehr Nebel als Klarheit.
Darum ist ein dritter Blick vonnöten, der sich hartnäckig durch den Nebel vorarbeitet in der Überzeugung, daß hinter dem Nebel dennoch klare Aussagen zu erkennen sind. Was wird da sichtbar? Da es sich um einen offiziellen Text handelt, ist es völlig korrekt, daß die Redenden sich zunächst auf der Ebene von Vorstand und Kuratorium sehen: 'Namens der ESV ... wir ...'. Mit dem Wort "Grausamkeiten" kommt eine andere Ebene in den Blick, die Ebene der Mitarbeiter und 'Klienten'. Aber diese Ebene (es ist die Ebene, auf der die Schulkinder von damals heute eine Entschuldigung erwarten) wird sofort wieder verlassen: Es geht nicht um diejenigen, die die Grausamkeiten ausübten, oder die, die sie erleiden mußten, sondern um die, die sie nicht vereitelten, also um die Leitungsebenen. Dann muß aber, wenn nichts Gegenteiliges ausdrücklich gesagt wird, auch die erbetene Versöhnung auf dieser Ebene zu sehen sein. Friede, Waffenstillstand erbitten die Chefs; ob dabei an die Bitte gedacht ist, von Regreßforderungen Abstand zu nehmen, oder an andere Dinge, mag offen bleiben. Jedenfalls ist es eine total andere Ebene, als die, die beim Kaffeetrinken nach einer Silber-Konfirmation plötzlich sichtbar wurde, als jemand erzählte, eine der damals gefürchteten Diakonissen sei inzwischen erblindet; die einen sagten; prima, jetzt hat sie ihr Fett; andere: so kann ich das nicht sehen, ich bin froh, nicht hassen zu müssen.
Klar ist also: Wenn wir von Versöhnung reden, muß deutlich werden, was wir meinen. Denn Versöhnung kann das Ziel haben: Die Diakonie-Manager können ruhig schlafen, denn jene Schreckens-jahre
werden weder finanzielle noch rufschädigende noch andere negativen Folgen mehr haben. - Versöhnung kann aber auch das Ziel haben: Die ehemals Geschundenen haben keine Angst mehr. Sie können heute frei
über jene Zeit sprechen und sind nicht mehr gezwungen, Schadenfreude zu empfinden, wenn sie von Krankheit oder Unglück ihrer ehemaligen Peiniger hören. Damit aber eine solche Freiheit erreicht werden
kann, ist ein umfassendes und ehrliches Schuldeingeständnis der heute ESV-Verantwortlichen eine unabdingbare Voraussetzung.
5) Wir bitten Sie, den Vorstand, ebenso Kuratorium und Aufsichtsrat
der ESV, zur Kenntnis zu nehmen: Falls uns diese (in Ihrem Schreiben vom 20.6.06 formulierte) Entschuldigung offiziell vorgelegt wird und wir sie dann ablehnen, wird das nicht an fehlendem
Friedens-Willen liegen, sondern daran, daß wir nicht bereit sind, uns im Zusammenhang mit jener Schreckens-Zeit mit einem Satz abfertigen zu lassen, der bei genauem Hinsehen gar nicht zu verstehen ist
und in dem wir uns in keiner Weise als auf gleicher Augenhöhe ernst genommene erwachsene Menschen erleben können.
Ratlose Frage zum Schluß: Sollten die Leitungsgremien der ESV durch die
wichtige Sorge um Zahlen und Finanzen so total mit Beschlag belegt sein, daß sie die noch heute kaum erträglichen Traumatisierungen, Schmerzen, Ängste und Ratlosigkeiten der in Volmarsteiner Häusern
gequälten Menschen noch gar nicht wirklich wahrnehmen konnten?
6) Nachtrag: Ulrich Bach, persönliche Erklärung Zugegeben, mein Text ist an mehreren Stellen so scharf, wie Sie es, lieber
Bruder Springer, bei mir nicht oft antreffen. Der Grund ist in folgendem zu sehen: Mehrfach wurde mir in den letzten Jahren (oder gar Jahrzehnten) von Betroffenen berichtet, sie hätten dem
Anstaltsleiter (dabei war mir gegenüber nie von Ihnen die Rede) oder Personen, die ihm unmittelbar unterstellt waren, von den früheren JHH-Zuständen erzählt und hätten zur Antwort bekommen (sehr
verschiedenartig formuliert), das sei zwar schlimm, aber man solle es nicht an die große Glocke hängen, sonst litte der gute Ruf der Einrichtung. Da ich bei den Betroffenen lernte, wie wichtig es für
die Rettung oder Wiederbelebung ihrer damals an-geschlagenen oder gar zer-schlagenen Menschenwürde ist, daß ihnen ohne jedes "aber" zugehört wird, und das heißt: daß "jetzt"
nichts wichtiger ist als ihre Not und die Frage, wie sie lebens-erträglich werden könnte, wurde mein Kopfschütteln immer aggressiver: Merkt "der" denn gar nicht, daß da, wo wichtiger als
die genannte Not der Ruf einer Institution genommen wird, die Menschenwürde der damals Geschlagenen heute erneut geschlagen wird? - Auf dem Hintergrund dieser Gespräche werden gewiß zwei
gegensätzliche Motive bei mir verständlich: a) Meine fast euphorische Reaktion auf Ihren persönlichen Brief an Herrn Helmut Jacob, mit dem Sie am 23.3.06 auf dessen Leserbrief (UK 12/06 vom
19.3.06) reagiert hatten; am 5.4.06 schrieb ich Ihnen: "Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Ich habe mich riesig über Ihren Brief gefreut; denn hier bricht ein Volmarsteiner Anstalts-Leiter klar
mit der Tradition seiner Vorgänger." Heute vermute ich, daß ich diesen Brief wohl nicht kritisch genug gelesen hatte. b) Meine große Enttäuschung schon bei der Lektüre Ihres Leserbriefes in
UK (16/06) vom 16.4.06 (vgl. bereits Punkt 2 dieses Briefes; dazu auch mein Brief an Sie vom 26.4.06), und dann besonders bei der Lektüre Ihres langen Textes vom 20.6.06. Der jetzige Stiftungsleiter hat
also doch nicht "mit der Tra-dition seiner Vorgänger" gebrochen. jedenfalls nicht "klar". Die Qualen der Gequälten werden (mindestens teilweise) relativiert (vgl. Ihren genannten
Leserbrief), mit den Fakten gehen Sie gelegent-lich etwas großzügig um (vgl. Punkt "3" dieses Textes) - so offenbar hoffen Sie, die Dinge rasch abhaken zu können. Tatsächlich gehen Sie
offensichtlich von erstaunlich kurzen Zeiten aus. In Ihrem kurzen Schreiben vom 26.6.06 an diejenigen, die "an der angekündigten Aufarbeitung" mitgewirkt haben, und das Sie Ihrem Text vom
20.6.06 beilegten, heißt es, Sie senden uns "diese Aufarbeitung nun zu". Auch wenn der nächste Satz einräumt, daß Sie nach Ihrem Urlaub noch ein paar neue Meldungen erreichen werden,
scheint für Sie die Sache im Grunde abgeschlossen zu sein. Mit welcher Problematik sehen Sie sich eigentlich konfrontiert, wenn Sie meinen, sie in wenigen Monaten vom Tisch bekommen zu können?
Besonders wichtig ist mir: Die augenblickliche Kontroverse zwischen uns beiden wird von mir verstanden und erlebt als harte, aber sachliche Gegnerschaft, nicht als persönliche und unversöhnliche
Feindschaft. Konkreter: Bei meinem Einsatz (oder muß ich schon von "Kampf" sprechen?) für die Ermöglichung eines dauerhaften "aufrechten Ganges" der damals Gedemütigten will ich
meinen Wunsch für Ihren ehrenvollen Abschied in den Ruhestand nicht aus dem Blick verlieren; aber dieser Wunsch darf hier, wo es um die Menschenwürde der uns anvertrauten (und damit in vieler Hinsicht
uns auch ausgelieferten!) Mitmenschen geht, nach meiner Überzeugung eben nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Möglicherweise hat Sie besonders verärgert, daß ich die WR auf meinen Text von
1996 hingewiesen habe. Ich hatte die Sache gründlich überlegt. Es ging mir um folgendes. Vom ersten UK-Leserbrief an, den Herr Jacob schrieb, möchte ich (im Grunde schon seit meinem Text von 1996)
mithelfen, daß wir die damalige Schreckenszeit ehrlich und ausführlich miteinander aufarbeiten, ohne daß die ehemals Geschundenen erneut Schaden nehmen. Als die Frage aufkam, seit wann der ESV diese
Dinge bekannt sind, schickte ich Ihnen den 1996-Text (am 26.4.06). Trotzdem heißt es in Ihrem Text vom 20. Juni, Sie seien erst 2006 auf diesen "Fleck" gestoßen; ich nahm mir vor, intern
gegen diese Unrichtigkeit anzugehen. Erst als die WR Anfang August Ihre Zeitangabe veröffentlichte, sah ich mich gezwungen, auch meinerseits die WR zu informieren. Das Bild eines Stiftungsleiters, der
sofort bei Bekanntwerden der Untaten tätig wird und die Sache innerhalb weniger Monate erledigt, mag verlockend sein. Dennoch will ich versuchen zu verhindern, daß es "offiziell" wird, nicht
weil Sie es so schätzen, sondern weil es durch die mit ihm gegebene merkwürdige Interpretation belegbarer Tatsachen die Geschundenen erneut kränkt. Ich kämpfe also gegen dieses Bild - nicht gegen
dessen "Maler"!
Lieber Bruder Springer, auch in "rauhen" Zeiten mit brüderlichem Gruß, (Ihr Ulrich Bach)
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